23 Jul fK 2/07 Editorial
Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser
Junge oder Mädchen, Frau oder Mann? Erst wenn die Antwort darauf nicht sofort auf der Hand liegt, wird uns bewusst, wie sehr unser Fühlen, Denken und Handeln anderen und uns selbst gegenüber von der eindeutigen Zuweisung zu einem Geschlecht abhängen. Es gibt kaum einen größeren, weniger auflösbaren Unterschied zwischen den Menschen als den ihres Geschlechts.
Während das biologische Geschlecht (Sex) in den allermeisten Fällen eindeutig feststeht, ist die Frage, was als männliches oder weibliches Verhalten zu gelten hat, keineswegs einheitlich zu beantworten. Die jeweils vorherrschenden Geschlechterbilder und Rollenerwartungen (Gender) sind gesellschaftlich und kulturell geprägt und unterliegen erheblichen Wandlungen.
Mehr noch: erst die intelligente und situationsangepasste Balancierung von als „weiblich“ bzw. „männlich“ etikettierten Verhaltensweisen bietet optimale Entwicklungschancen. So verstanden können sich Mädchen durchaus „jungenhafter“ verhalten als Jungen und umgekehrt. Entsprechend sind Unterschiede innerhalb von Jungen- oder Mädchengruppen häufig größer als im Vergleich zwischen den Geschlechtern.
Die Erziehung zum Jungen oder Mädchen ist für Eltern und andere Erziehungspersonen eine nicht einfach zu bewältigende Aufgabe. Die größte Herausforderung besteht wohl darin, Kindern zu ermöglichen, ihr biologisch zugewiesenes Geschlecht anzunehmen, ohne sie dabei auf geschlechtsstereotype Verhaltensweisen festzulegen. Erwünschtes Ergebnis dieses biopsychosozialen Prozesses ist der Erwerb einer sicheren Geschlechtsidentität.
Geschlechterbewusste Erziehung begleitet Jungen und Mädchen bei ihrer Suche nach geschlechtlicher Identität. Dafür bedarf es gleichermaßen weiblicher und männlicher Vorbilder. Wenn Kinder erleben können, dass Frauen und Männer dasselbe auf unterschiedliche Weise tun, lernen sie vor allem eines: dass bei der Bewältigung des Lebens Alternativen möglich und zweckmäßig sind.
In den ersten Lebensjahren der Kinder mangelt es vor allem an männlichen Vorbildern. Um Väter mehr in Pflege und Erziehung einzubinden und Männer stärker für frühpädagogische Berufe zu gewinnen, bedarf es der Veränderung gleichermaßen männlicher und weiblicher Lebensmuster und -strategien. Nicht zuletzt sind Gesellschaft und Politik gefordert: Wir müssen deutlich machen, wie attraktiv ein individueller Mix aus traditionell männlich und weiblich dominierten Lebensweisen sein kann. Und dass davon alle profitieren. Mädchen und Jungen.
Mit herzlichen Grüßen
Prof. Dr. Franz Resch, Präsident der Deutschen Liga für das Kind
Dr. Jörg Maywald, Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind
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