24 Jul fK 2/06 Bockelmann
Es ist normal, verschieden zu sein
Kinderhaus Friedenau e.V. in Berlin
von Annegret Bockelmann
Das Stammhaus des Kinderhauses Friedenau ist mitten im Friedenauer Kiez, in einem alten zweistöckigen Berliner Mietshaus mit ausgebauter Dachetage und eigenem Garten untergebracht. Einen Fahrstuhl gibt es nicht. Aber eine alte Holztreppe und helle, bunte Räume, die einladend wirken und Lebendigkeit ausstrahlen. In der unteren Etage hat vor mehr als 30 Jahren, damals ein leerstehendes Ladengeschäft, alles angefangen.
Eine Gruppe engagierter Eltern von Kindern mit Behinderung erstellten mit Hilfe fachlicher Unterstützung ein Konzept zur gemeinsamen Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder, mieteten die Ladenräume und rüsteten sie in Wochenend- und Feierabendeinsätzen auf die Bedürfnisse der Kinder um – die „Geburt“ des Kinderhaus Friedenau e.V.. Im Jahr 1979 wurde die Einrichtung als Modellprojekt für integrative Erziehung offiziell anerkannt. Das Konzept wurde nach erfolgreicher Umsetzung Grundlage des seit 1987 gesetzlich verankerten Integrationsprogramms des Landes Berlin. Damit hat das beispielhafte Engagement der Eltern und der Fachleute über die Grenzen Berlins hinaus einen entscheidenden Beitrag zur Umsetzung des Anspruchs auf die gemeinsame Erziehung und Betreuung aller Kinder geleistet.
Heute ist das Kinderhaus Friedenau weit über den Bezirk Schöneberg hinaus eine gefragte Integrationseinrichtung für bis zu 144 Kinder mit und ohne Behinderung im Alter von zwei bis zehn Jahren sowie Träger eines integrativen Kinderfreizeitheimes in Berlin-Schöneberg.
Das Kinderhaus Friedenau geht von einem ganzheitlichen Verständnis der kindlichen Entwicklung aus. Nicht die Defizite der Kinder stehen im Vordergrund, sondern ihre Fähigkeiten und Stärken. Wichtiges Ziel ist ein Miteinander ohne Ausgrenzung – ist die soziale Gemeinschaft. Der Austausch mit den Eltern erfolgt in Entwicklungsgesprächen über die Kinder und an den Elternabenden.
Die therapeutische Grundversorgung der Kinder mit Behinderung wird in Zusammenarbeit mit der Pikler-Gesellschaft Berlin gewährleistet. In Gesprächen mit Eltern, Mitarbeiter(inne)n und Therapeut(inn)en wird der therapeutische Bedarf ermittelt. Die Therapien finden in der Regel in Kleingruppen statt, wobei die Kinder mit Behinderung von Kindern ihrer Gruppe begleitet werden. Ziel ist es, dass die Kinder mit und ohne Behinderung im sozialen Miteinander und durch kontinuierliche Förderung ihre individuellen Stärken und Schwächen erfahren und akzeptieren. Die Kinder sollen angeregt werden, ihre Fähigkeiten wahrzunehmen – sie sollen motiviert werden, sich selbstverständlich mit ihrer ganzen Persönlichkeit einzubringen.
Dass die gemeinsame Erziehung von Kindern mit und ohne Behinderung über beispielhafte Einrichtungen, wie das Kinderhaus Friedenau, hinaus zur Normalität werden kann, ist eine der wichtigsten Bedingungen für die Verankerung integrativer Erziehung als festen Bestandteil in der Ausbildung von Erzieher(inne)n und im Kindertagesbetreuungsreformgesetz von Berlin. Daneben ist der Betreuungsschlüssel eine weitere wesentliche Bedingung. Der aktuelle Betreuungsschlüssel im Kinderhaus Friedenau für 13 Kinder zwischen zwei und sechs Jahren sieht zwei Erzieher(innen), davon eine Facherzieherin für Integration, vor. In der Regel werden ein Kind mit einer Mehrfachbehinderung und zwei Kinder mit leichteren Beeinträchtigungen in einer Gruppe betreut. Aus der Perspektive der pädagogischen Arbeit ist dies nicht immer optimal. Auch wenn sich in den letzten 30 Jahren schon viel getan hat, müssen die Rahmenbedingungen gemeinsamer Erziehung von Kindern mit und ohne Behinderung weiter verbessert werden.
Annegret Bockelmann ist Studentin der Kleinkindpädagogik an der Freien Univeristät Berlin.
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