04 Aug fK 2/05 Hofmann
Spielraumbeirat des Deutschen Kinderhilfswerkes setzt sich für kinderfreundliche öffentliche Räume in Städten und Gemeinden ein
von Holger Hofmann
Der öffentliche Raum, in dem Kinder und Jugendliche ihren Alltag verbringen, hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr verändert – zum Nachteil junger Menschen. Deren Möglichkeiten, sich selbständig in ihrer Umgebung zu bewegen, haben dramatisch abgenommen. Dagegen sind die planerischen Instrumente zur Gestaltung öffentlicher Räume weitgehend unverändert geblieben. Neuere Studien wie die Pisa- oder die Shell-Studie benennen zwar diese mangelhaften Entwicklungsbedingungen für Kinder, doch ist der Einfluss auf das Planungs- und Gestaltungshandeln von Kommunen äußerst gering.
Die Erfahrungsräume von Kindern wurden durch intensive Bebauung und Funktionalisierung der Außenräume von Städten und Kommunen völlig verändert. Kinder und Jugendliche geraten in die Isolation, weil ihnen Spielplätze als Reservate angeboten werden oder Flächen von minderer Freiraumqualität am Orts- oder Quartiersrand, die nur schlecht oder unter Gefahren erreichbar sind.
Uns geht es jedoch weder um einzelne Spielplätze, Kindergärten und Schulen noch um die Zahl von Spielelementen im Freien. Unser Thema ist vielmehr die Qualität von Spiel- und Bewegungsräumen. Wir setzen uns ein für ein vernetztes System kindgerechter Spiel-, Erlebnis- und Aufenthaltsbereiche in Städten und Kommunen, wo junge Menschen frei von Leistungsdenken und Erfolgsdruck aktiv sein können. Kinder und Jugendliche, die aufwachsen ohne geeignete Spiel- und Aufenthaltsmöglichkeiten im Freien, entwickeln oftmals Bewegungs- und Koordinationsstörungen, die sie in ihrer geistigen, körperlichen und seelischen Entwicklung erheblich beeinträchtigen.
Ziele des Spielraumbeirates
Der Spielraumbeirat im Deutschen Kinderhilfswerk besteht aus interdisziplinär arbeitenden Fachverständigen unterschiedlicher Berufe und Regionen. Er hat sich zum Ziel gesetzt, eine Lobbyarbeit zu leisten, bei der die unterschiedlichen Disziplinen kooperieren. Deswegen treten wir für allgemein gültige Kriterien von Kinderfreundlichkeit ein, die wir als Element der Zukunftsfähigkeit von Städten und Gemeinden sehen. Durch Vernetzung, Förderung und Beratung will das Deutsche Kinderhilfswerk dazu beitragen, Kinderfreundlichkeit in Deutschland nicht nur politisch durchzusetzen, sondern auch konkret zu verwirklichen.
Der Spielraumbeirat des Deutschen Kinderhilfswerkes sieht die dringende Notwendigkeit, bei der Gestaltung von städtischen Freiräumen und naturnahen Spielangeboten neue Wege zu gehen.
Wir fordern ein „kreatives Wohnumfeld“ und verstehen darunter:
- öffentliche Räume zum Entdecken und Verändern
- Kommunikationsräume für Spiel und Sport
- Naturerfahrungsräume
- Bewegungsräume mit Animationscharakter
- offene, ungenormte Sportplätze für alle
Kinder und Jugendliche brauchen eine Vernetzung und Ergänzung vorhandener Spielangebote zu einem zusammenhängenden Ganzen, das heißt, eine Verbindung von privaten und öffentlichen Freiräumen, die zu Fuß erreichbar sind. Dies ist eine überfällige Gestaltung des öffentlichen Raumes, die der Spielraumbeirat nach besten Kräften unterstützen will.
Nur durch eine kindgerechte Gestaltung von städtischen Freiräumen, durch Treffpunkte und Aktionsangebote kann die „bespielbare Stadt“ Realität werden. Unter „bespielbarer Stadt“ verstehen wir informelle Spielorte, die sich Kinder und Jugendliche selbst angeeignet haben, sowie gestaltete Spielplätze für Menschen aller Altergruppen. Auch erwachsenen Menschen sollten Spielmöglichkeiten geboten werden, ebenso wie Kinder und Jugendliche Zugang zur Erwachsenenwelt haben sollten.
Es gilt deshalb, städtebauliche Strukturen zu schaffen, zu erhalten und zu fördern, in denen Spielen möglich ist. Für eine kinderfreundlichen Stadtentwicklung sind gezielte Strategien und Verfahren notwendig.
Handlungsmöglichkeiten
Zur Verwirklichung seiner Ziele sieht der Spielraumbeirat im Deutschen Kinderhilfswerk Handlungsmöglichkeiten auf unterschiedlichen Ebenen, die sich ergänzen und wo gleichzeitig gearbeitet werden kann.
Qualitätsziele „Kinderfreundlichkeit“ und „bespielbare Stadt“ sind durch klare Konzeption erreichbar Neben „harten“ Standortfaktoren, die die Zukunftsfähigkeit von Städten und Gemeinden sichern, wirkt sich Kinderfreundlichkeit zunehmend auf die Attraktivität aus und fördert Wachstum im positiven Sinn. Zur Verwirklichung der Qualitätsziele „Kinderfreundlichkeit“ und „bespielbare Stadt für alle Generationen“, ist es sinnvoll, eine Konzeption zu entwickeln, die auf einer Leitidee beruht. Alle Planungs- und Umsetzungsebenen der Kommunen sollten in diesen Prozess einbezogen sein. Eine solche Zielkonzeption nutzt die vorhandenen Strukturen und nimmt diese zum Ausgangspunkt einer Neugestaltung. Auf allen Ebenen, sowohl bei der Flächennutzungs- wie auch in der Objektplanung, kann das Qualitätsziel „Kinderfreundlichkeit“ verwirklicht werden. Dafür sind entsprechende Budgets im Haushalt, eine ressortübergreifende Arbeitsweise sowie eine entsprechende Ausbildung von Mitarbeitern erforderlich. Als gelungenes Beispiel für die Wirksamkeit von Qualitätszielkonzeptionen kann die Spielleitplanung im Bundesland Rheinland-Pfalz genannt werden.
Partizipation
Die Beteiligung von Bewohnerinnen und Bewohnern an der Planung ihres Wohnumfeldes ist in fortschrittlichen Kommunen heute Standard. Oftmals wird jedoch vergessen, dass auch Kinder Bewohner sind. Sie vor allem nutzen das Wohnumfeld mit seinen Spielräumen. Kinder verfügen über ein großes Potenzial an wertvollen Erfahrungen. Sie kennen das Viertel mit seinen Schätzen und Barrieren aus eigenem Erleben. Die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an Prozessen, die sie persönlich betreffen, ist sinnvoll schon im Planungsstadium und effektiv zur Verwirklichung der „kinderfreundlichen und bespielbaren Stadt“. Partizipation von Erwachsenen und Kindern trägt zur Identifikation mit Wohnort und Wohnviertel bei und unterstützt die Interessen der Bewohner. Die Akzeptanz politischen Handelns bei allen Generationen kann auf diese Weise gefördert werden.
Rechte von Kindern vor Ort durchsetzen
Kinderfreundlichkeit ist eine Querschnittsaufgabe der Kommunen. Das bedeutet, die Rechte und Interessen der Kinder auf allen Ebenen und bei allen Entscheidungen zu berücksichtigen. Dazu gibt es bereits zahlreiche Rechtsgrundlagen. Folgende Gesetze und Verordnungen können bei konsequenter Anwendung die Kinderfreundlichkeit von Kommunen voranbringen (die Liste ist nicht vollständig):
- UN–Kinderrechtskonvention, Artikel 1,12-14
- Agenda 21, Teil III, Kapitel 25<
- Kinder- und Jugendhilfegesetz, §§1, 8, 11 + 80
- Baugesetzbuch. §§1,3,4
- Ländergesetze, Gemeindeordnungen und örtliches Baurecht
- Richtlinien der Deutschen Olympischen Gesellschaft, DOG, z.B. die Norm DIN 18034
Lobbyarbeit für Kinderinteressen
Neben den kommunalen politischen Strukturen gibt es in Deutschland zahlreiche Verbände, Vereine und Organisationen, die sich mit der räumlichen Gestaltung unserer Umwelt befassen. Dazu zählen: Städteplaner und Landschaftsarchitekten, Pädagogen und kommunale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Hochschulen, Parteien und politische Institutionen, wie auch Stiftungen und Fördervereine. Alle diese Akteure beschäftigen sich in der Regel jedoch nur mit einem Teilaspekt kommunaler Entwicklung. Die Möglichkeiten von Synergieeffekten werden bisher kaum genutzt. Hier sieht der Spielraumbeirat im Deutschen Kinderhilfswerk ein weites Handlungsfeld. Insbesondere Qualitätszielkonzeptionen eignen sich dazu, vernetzte, interdisziplinäre Prozesse für mehr Kinderfreundlichkeit in Gang zu bringen und Synergieeffekte gezielt zu nutzen. Für diese Aufgabe sollte eine Koordinationsstelle geschaffen werden, die in der Lage ist, das notwendige Wissen fachlich kompetent und querschnittsorientiert zusammen zuführen.
Perspektiven
Im Wettbewerb der Kommunen werden diejenigen gewinnen, die im „Ranking“ beim Kriterium Kinder- und Familienfreundlichkeit die vorderen Plätze belegen. Der Spielraumbeirat im Deutschen Kinderhilfswerk setzt sich dafür ein, den politischen Druck auf die Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Planung in solche Programme umzusetzen, die geeignet sind, die Entwicklung der Kommunen in Richtung Zukunftsfähigkeit zu unterstützen. Kinderfreundlichkeit kann zum kalkulierbaren Wirtschaftsfaktor auf hohem Niveau werden. Dies liegt nicht nur im Interesse der kommunalen Haushalte und der Krankenkassen, sondern im ureigensten Interesse der jungen wie der erwachsenen Menschen.
Der Spielraumbeirat in Aktion
Ab dem Sommer 2005 wird der Spielraumbeirat des Deutschen Kinderhilfswerkes mit der Aktion „Stolpersteine für mehr Spielraum“ an unterschiedlichen Orten in der Bundesrepublik auf zu schützende Spielorte aufmerksam machen. Prinz Bewegogard und Prinzessin Dreisprung, zwei Symbolfiguren für das Recht von Kindern auf Spiel im öffentlichen Raum, werden gemeinsam mit Partnern aus Politik und Öffentlichkeit so genannte „Stolpersteine“ aufstellen.
Hierfür werden Orte in Gemeinden und Städten gesucht, welche Kinder und Jugendliche für ihr Spiel nutzen, obwohl diese nicht als Spielplätze ausgewiesen sind: etwa Skaterplätze in der Innenstadt, Fußgängerzonen, Brachflächen, Straßen, Hinterhöfe oder Schulhöfe, die am Nachmittag frei zugänglich sind.
Der Stolperstein wird medienwirksam präsentiert. Mitglieder des Spielraumbeirates werden Rede und Antwort stehen. Kinder und Jugendliche erhalten von Prinz Bewegogard und Prinzessin Dreisprung Aufkleber „Hier sollte Platz zum Spielen sein!“ und „Das ist unser Spielplatz!“, so dass weitere Orte markiert werden können und zum Nachdenken angeregt wird.
Kinder und Jugendliche, Kommunen, Wohnungsbausgesellschaften, Schulen, Vereine und Bürgerinitiativen sind aufgerufen, dem Deutschen Kinderhilfswerk solche Orte zu nennen.
Weitere Informationen:
Deutsches Kinderhilfswerk
Leipziger Straße 116-118
10117 Berlin
www.dkhw.de
Holger Hofmann ist Diplom-Sozialarbeiter und Mediator und Referent für Spielraum beim Deutschen Kinderhilfswerk in Berlin.
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