fK 1/06 Editorial

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser

Mobilität und Flexibilität sind zu Zauberworten modernen Lebens geworden. Heute hier, morgen dort, Beschleunigung und Multi-Tasking – der „flexible Mensch“ (Richard Sennett) setzt sich durch und ist immer mehr Leitbild in Wirtschaft und Gesellschaft.

Dem Gewinn an Geschwindigkeit steht ein Verlust an Kontrolle gegenüber. Zur Faszination des Neuen treten Entwurzelung, Mangel an Orientierung und verminderte soziale Integration. Der Wunsch nach Beständigkeit, nach etwas, „das bleibt“, steigt. Alte Grundfragen werden auf neue Weise bedeutsam: Woher komme ich? Zu wem gehöre ich? Was ist mir wichtig?

Die gesteigerte Mobilität des Arbeitslebens verlängert sich zu vermehrtem Pendeln zwischen Berufs-, Familien- und Freizeit. Familiale Stundentafeln gleichen häufig komplizierten Wechselschicht-Dienst-plänen. Die Anzahl der Trennungen im Alltag steigt. Auch in der Familie steigen die Anforderungen an ein ausgeklügeltes Mobilitätsregime.

Auch innerfamiliäre Ereignisse können gesteigerte Mobilität bedingen. Trennungen und Scheidungen und die Auflösung von Mehrgenerationenwohnformen führen zu großen Entfernungen zwischen Angehörigen. Nicht selten pendeln sogar Kinder zwischen zwei Haushalten.

Dennoch: selbst wenn sie nicht (mehr) im gleichen Haushalt leben, verstehen sich heute viele Menschen als Familie und empfinden ein Gefühl der Zugehörigkeit-, Intimität und Solidarität.

Es besteht kein Zweifel, die Welt wird mehr und mehr um Mobilität organisiert. Beweglichkeit und die Fähigkeit, Übergänge zu gestalten, sind wichtige Bestandteile sozialer Kompetenz. Mobilität kann aber auch den Beigeschmack von Zwang und Fremdbestimmung annehmen. Und die Familienentwicklung empfindlich stören oder gar verhindern. Die Forderung jedenfalls, immer mobil zu sein, trägt zum Kindermangel in Deutschland bei.

Was ist zu tun? Private und familiäre Belange gänzlich dem Berufsleben unterzuordnen, führt in die Sackgasse. Flexibilität darf nicht allein der Organisation der Arbeit dienen, sondern muss auch zugunsten von Familie möglich sein. Kinder können dabei unterstützt werden, Wechsel aktiv zu gestalten und besser zu verkraften. Sie müssen aber auch Gehör finden, sobald überzogenes Hin und Her ihrem Wohl entgegensteht. Auch der Verzicht auf Mobilität kann die Lebensqualität steigern.

Schließlich ist die Politik gefordert. Zur Unterstützung des Mobilitätsmanagements gehören ein günstiger Rahmen für familienfreundliche Arbeitsbedingungen und eine intelligente Infrastruktur, die auch Kindern hilft, einfach und ungefährdet von A nach B zu gelangen. Nicht zuletzt kann Politik das Bewusstsein fördern, dass von einer gelungenen Work-Life Balance wir alle profitieren.

Mit herzlichen Grüßen

Prof. Dr. Franz Resch, Präsident der Deutschen Liga für das Kind

Dr. Jörg Maywald, Geschäftsführer der Deutschen Liga für das Kind

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