21 Aug fK 1/02 Infos
Bildung und Selbstentwicklung des Kindes
Informationen zum Thema
Bundespräsident Rau zur Bedeutung der Elementarbildung
So wichtig die letzten Jahre in den weiterführenden Schulen, so unverzichtbar Lehre und Forschung an unseren Hochschulen: Beim Bau eines Hauses beginnt man aus gutem Grund mit dem Fundament und nicht mit dem Dach. Es ist ja kein Zufall, dass jeder dritte ausländische Postdoc und jeder fünfte ausländische Professor in den Naturwissenschaften in den USA aus Deutschland kommt. Dummheit und Unkenntnis waren sicher nicht die Einstellungsvoraussetzungen.
Erfolge an der Spitze dürfen uns aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir die Elementar- und Grundschulbildung offenbar seit Jahrzehnten vernachlässigen. Das fängt im Kindergarten und in den Kindertagesstätten an. In Deutschland kommen im Elementarbereich auf jede Lehrkraft rund vierundzwanzig Kinder; nur in Korea und Mexiko sind es noch mehr. Das muss sich dringend ändern. Je kleiner die Kinder, desto größer die Klasse: Diese Faustregel ist falsch und schädlich und darf nicht länger gelten. Kinder, die in einen Kindergarten, in eine Kindertagesstätte oder in die Grundschule kommen, sind neugierig und wollen etwas lernen. Sie können es noch besonders gut. Ich wünschte mir, dass alle politisch Verantwortlichen sich von der Neugier und von der Lernfreude der Kinder anstecken ließen.
Wir sollten uns freilich davor hüten, jetzt mit Hinweis auf die drohenden Gefahren für den „Standort Deutschland“ den Kindergarten und die Grundschule zur Berufsschule oder zum Gymnasium für Kleinkinder umzukrempeln. Gewiss, es geht auch darum, die Neugier von Kindern für naturwissenschaftliche und technische Fragen zu fördern und zu nutzen, aber die Betonung muss eher auf „fördern“ liegen als auf „nutzen“. Bildung ist immer langfristig angelegt. Sie braucht Zeit. Man muss sich diese Zeit auch nehmen und geben. Für Bildung am Beginn des Lebens gilt das ganz besonders. Hier geht es um die Vermittlung der Grundfertigkeiten, um Lesen, Schreiben, Rechnen, um all das, was man braucht, damit man die späteren Bildungsangebote optimal nutzen kann. Vor allem geht es aber darum, die Lust am Lernen zu fördern.
All das hat sehr viel mit Teilhabe zu tun: Die Kindergärten, die Kindertagesstätten und die Grundschulen sind ja nicht nur die Tore zum Bildungswesen, sie sind auch die Tore zu unserer Gesellschaft, zu Selbstentfaltung und Gemeinschaftsfähigkeit, zu beruflichem Erfolg und staatsbürgerlicher Verantwortung. Wer dort nicht teilhaben kann, weil die Bedingungen unzulänglich sind, der wird auch auf den späteren Stufen unseres Bildungswesens nicht mithalten können. Der hat es dann auch schwer in einer Gesellschaft, die Menschen ohne Wissen und Bildung zunehmend an den Rand drängt.
Das gilt für die deutschen Kinder und noch mehr für die Kinder aus Familien, die neu nach Deutschland gekommen sind. Alle haben mittlerweile erkannt, dass wir gesteuerte Zuwanderung brauchen. Alle haben auch erkannt, dass Zuwanderung ohne Integration nicht gelingen kann. Der Schlüssel zur Integration ist die deutsche Sprache. Wo kann die am besten gelernt werden, wenn nicht im Kindergarten und in der Grundschule? Gewiss kommt es zuerst auf die Familien an, aber viele Familien sind eben überfordert. Das lässt sich nicht über Nacht ändern. In Städten wie Frankfurt oder Berlin hat schon heute fast jedes zweite Vorschulkind Eltern, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten aus anderen Ländern nach Deutschland gekommen sind. Man braucht kein Prophet zu sein, um zu erkennen, dass wir es in den kommenden Jahren mit noch größeren Integrationsproblemen zu tun bekommen, wenn wir die Kindergärten und die Grundschulen nicht so umgestalten und ausstatten, dass sie ihren Beitrag zu einer gelungenen Integration leisten können.
Ich weiß, dass das alles Geld kostet und dass davon zu wenig in den öffentlichen Kassen ist. Es war ja schon schwer genug, den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz durchzusetzen. Noch schwerer wird es werden und noch länger wird es dauern, den Vorschlag des Forums Bildung in die Tat umzusetzen, dass Kindertageseinrichtungen für die Eltern kostenlos sein sollen. Wir müssen uns aber fragen, ob wir wirklich so weitermachen wollen wie bisher, mit einem schwachen und brüchigen Fundament unseres Bildungswesens, auf das dann große Häuser gebaut werden sollen. Ich meine, wir sollten das Fundament verstärken, sonst werden aus den großen und starken Häusern bald Bildungsruinen.
Auszug aus der Rede von Bundespräsident Johannes Rau beim Abschlusskongress des Forum Bildung am 10.1.2002 in Berlin, Informationen unter: www.bundespraesident.de
Aus den Empfehlungen des Forum Bildung
Frühe Förderung in Kindertageseinrichtungen und in der Grundschule
Wie im Ausland sollen auch in Deutschland künftig Kindertageseinrichtungen frühkindliche Bildung stärker fördern und kindgerecht auf das weitere Lernen in der Grundschule vorbereiten. Dazu muss die Aus- und Weiterbildung der Erzieherinnen und Erzieher verbessert und aufgewertet werden. Angesichts der neuen Bedeutung für die Förderung früher Bildungsprozesse schlägt das Forum Bildung vor, bei Kindertageseinrichtungen Gebührenfreiheit zu prüfen.
Das Lernen in der Grundschule soll umfassend reformiert werden. Dies soll späterem Schulversagen vorbeugen und Leistungsbereitschaft wecken: Mehr Augenmerk auf die Vermittlung der Grundlagen in Lesen, Schreiben und Rechnen und beim Erwerb der deutschen Sprache gilt als Voraussetzung für wirksame und präventive Bildungsarbeit. Vorbeugen ist besser als Nachbessern: Unzureichende Förderung in der Grundschule kann später nur beschränkt nachgeholt werden.
Dabei soll die Neugier von Kindern bei naturwissenschaftlichen und technischen Fragen gefördert und genutzt werden. Bereits im Kindergarten und in der Grundschule sollen die Kinder einen altersgemäßen Fremdsprachenunterricht erhalten. Das rechtzeitige Finden und Fördern von Begabungen wie auch ein stärkeres Eingehen auf die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und das soziale Umfeld der Kinder sollen zum Bildungsauftrag der Grundschule gehören.
Deutschland investiert erheblich weniger in die entscheidenden ersten Bildungsjahre als vergleichbare Staaten wie Österreich, die skandinavischen Länder, die Schweiz und die USA. Eine Überprüfung der Prioritäten bei den Bildungsinvestitionen ist notwendig.
Die Lehrenden: Schlüssel für die Bildungsreform
Mehr Wertschätzung für den Pädagogenberuf
Erziehern, Lehrern, Hochschullehrern und Weiterbildern wird eine Schlüsselrolle für die Bildungsreform zugeschrieben. Ihre Motivation und Gestaltungsmöglichkeiten, aber auch ihre materiellen und personellen Rahmenbedingungen in den Bildungseinrichtungen müssen unterstützt werden. In der Aus- und Weiterbildung der Lehrenden ist das fachwissenschaftliche Studium stärker mit der pädagogischen und didaktischen Ausbildung zu verzahnen, auch mittels schulpraktischer Erfahrung. Weiterbildung ist stärker als Instrument der Personalentwicklung einzusetzen. Die gesellschaftliche Wertschätzung der Lehrenden hat nach Auffassung des Forums Bildung großen Einfluss auf die Motivation der Beschäftigten und auf die Gewinnung von Nachwuchspädagogen.
Lernorte öffnen und verknüpfen
Das „Haus des Lernens“ und seine Öffnung zur Nachbarschaft
Alle Bildungseinrichtungen – von der Kindertageseinrichtung bis hin zur Berufsausbildungsstätte – sollen als „Häuser des Lernens“ die Lebenswirklichkeit ihrer Nachbarschaft einbeziehen. Dazu gehört die Gewinnung von Eltern zur Mitwirkung in Kindertageseinrichtungen und Schulen, aber auch die Kooperation von Schulen und Hochschulen mit der Wirtschaft. In regionalen Netzwerken sollen die Anbieter und Nachfrager von Bildung, Kinder- und Jugendhilfe sowie die Verantwortlichen für Arbeitsmarkt und Sozialpolitik zusammenwirken.
Erste, fünfte und elfte von zwölf Empfehlungen des Forum Bildung, Informationen unter www.forum-bildung.de
Literatur
Kinder in besten Händen? Bildung von Anfang an!
Dokumentation einer Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung
Zukunftsforum Politik Nr. 37, Sankt Augustin 2001
www.kas.de
Kinder in guten Händen – Bildung in hellen Köpfen
Positionspapier des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter
zum Thema Kinderbetreuung und Ganztagsschule
Bonn 2002, www.vamv-bundesverband.de
Beate Andres und Hans-Joachim Laewen
Bildung und Erziehung in der frühen Kindheit – Bausteine zum Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen
Neuwied 2002
Beate Andres und Hans-Joachim Laewen
Forscher, Künstler, Konstrukteure – Ein Werkstattbuch zum Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen,
Neuwied 2002
Wassilios E. Fthenakis und Pamela Oberhuemer
Frühpädagogik International. Bildungsqualität im Blickpunkt
Opladen 2002
Gerd E. Schäfer
Bildungsprozesse im Kindesalter
Weinheim 1995
Nachtrag
Zu dem Artikel von Gabriele Haug-Schnabel
Ansatzstellen für Prävention in der kindlichen Entwicklung – Schutzerziehung gegen Angst, Gewalt und Sucht (frühe Kindheit 3/2001) erscheint demnächst das Buch
Wie man Kinder stark macht
ObersteBrink Verlag ISBN 3-934333-01-x
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