fK 5/09 Rezension

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Buchrezensionen

Unbedingter Respekt vor der Würde jedes Kindes

Am 20. November 2009 wird die UN-Kinderrechtskonvention 20 Jahre alt. Jurist(inn)en feiern die Konvention als einen unverzichtbaren Baustein im System internationaler Menschenrechtsabkommen. Pädagog(inn)en freuen sich über die der Konvention zugrunde liegende Anerkennung der Subjekthaftigkeit des Kindes. Es ist das Verdienst eines pünktlich zum Jubiläum erschienenen Buches, deutlich zu machen, dass international normierte Kinderrechte die Arbeit von Pädagog(inn)en unterstützen wie auch umgekehrt Jurist(inn)en bei der notwendigen Auslegung kinderrechtlicher Normen von pädagogischen Erfahrungen profitieren.

„Versuch einer Perspektivenverschränkung“ nennt Waltraut Kerber-Ganse ihren Versuch, Kinderrechte von zwei Seiten zu fassen. Eine erste von der Autorin gewählte Perspektive besteht darin, Geschichte, Inhalt und Reichweite der UN-Kinderrechtskonvention nachzuzeichnen. Eine zweite, ergänzende Sichtweise fügt die Erfahrungen und handlungsleitenden Orientierungen des polnisch-jüdischen Arztes und menschenrechts-basierten Pädagogen Janusz Korczak hinzu, der als visionärer Pionier und zugleich Praktiker der Kinderrechte gelten kann. Das besondere Verdienst des Buches besteht darin, diese beiden Ansätze nicht nur summarisch aneinanderzureihen, sondern ihre wechselseitigen Bezüge und vielfältigen Verschränkungen herauszuarbeiten. In welchem Umfang und in welcher Weise haben die Ideen Janusz Korczaks ihren Niederschlag in den Artikeln der Konvention gefunden? Welche Konsequenzen ergeben sich hieraus für ein kinderrechtlich basiertes Verständnis des Verhältnisses zwischen Erwachsenen und Kindern? Worin bestehen die weiterhin uneingelösten Versprechen der Konvention? Was können Eltern, Erzieher(innen), Lehrer(innen) etc. von einem internationalen Menschrechtsabkommen lernen? Welche Verpflichtungen ergeben sich für die Politik? Der erste Teil beschreibt die Geschichte der internationalen Kinderrechte als Bestandteil des sich im 20. Jahrhundert entwickelnden Völkerrechts. Besonders aufschlussreich ist die detaillierte und anhand der Originalquellen zuverlässig recherchierte Darstellung des Ringens um Formulierungen bezüglich einzelner Artikel in der von den Vereinten Nationen in den 1980er Jahren zur Vorbereitung der Konvention eingesetzten Kommission im Menschenrechtsausschuss. Die oftmals entscheidende Rolle der so genannten Nichtregierungsorganisationen (NGO’s) bei der Konsensfindung wird ebenso deutlich wie die mühselige und manchmal enttäuschende Notwendigkeit der Formulierung von Kompromissen. Fast nebenbei gelingt es der Autorin, dem Mythos einer allein nach westlichem Muster entstandenen Kinderrechtskonvention entgegenzutreten: die international vielfältig zusammengesetzte Arbeitsgruppe der Staaten und die ebenso bunt gemischte Gruppe der NGO’s boten die Gewähr für einen wahrhaft global akzeptierten Text, der dann am 20.11.1989 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen einstimmig verabschiedet wurde. Im zweiten Teil werden die wesentlichen Aussagen der Konvention im Rahmen des umfassenden Menschenrechtssystems der Vereinten Nationen dargestellt. Die in der Präambel enthaltenen Bestimmungen und die so genannten Allgemeinen Prinzipien werden ebenso erläutert wie die Bezüge zu anderen internationalen Abkommen und die Rolle des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes. Besonders ausführlich äußert sich die Autorin zu den kinderrechtlichen Grundlagen des Verhältnisses zwischen Kind, Eltern und Staat. Unter dem Titel „Von Korczak lernen?“ skizziert der dritte Teil die kinderrechtlichen Implikationen der Pädagogik von Janusz Korczak. Anerkennung der Subjektstellung des Kindes, wechselseitiger Respekt von Kindern und Erwachsenen und dialogisches Lernen der Generationen lauten die wichtigsten Stichworte. Dabei wird das seiner Zeit weit vorauseilende Bemühen Korczaks deutlich, das Verhältnis zwischen Gleichheit und Verschiedenheit von Kindern und Erwachsenen in einer Pädagogik der Achtung zu balancieren. Anhand exemplarischer Themenfelder beleuchtet der vierte Teil die sich aus einem kinderrechtlichen Ansatz (Child Rights based Approach) ergebenden fachlichen und politischen Konsequenzen. Im Mittelpunkt steht die Frage, inwieweit das Völkerrecht als Begründung und Bezugspunkt für sozialpolitische Reformen genutzt werden kann. Im fünften Teil schließlich werden die Früchte der Perspektivenverschränkung beschrieben. Sicherlich gehört hierzu die Erkenntnis, dass die inzwischen weltweite Normierung von Kinderrechten dem Wirken von Janusz Korczak grundlegende Einsichten verdankt. Der Autorin gelingt jedoch mehr: ihr Buch ist ein Plädoyer dafür, dass es bei der Anwendung von Kinderrechten nicht nur um juristisch korrekte Interpretationen gehen darf. Zuallererst sind bei Erwachsenen wie Heranwachsenden Dialogbereitschaft und Lernfähigkeit gefordert, damit – wie es Waltraut Kerber-Ganse schlussfolgernd ausdrückt – „Differenz wechselseitig produktiv gelebt werden kann“.

Jörg Maywald

Waltraut Kerber-Ganse
Die Menschenrechte des Kindes
Die UN-Kinderrechtskonvention und die Pädagogik von Janusz Korczak
Versuch einer Perspektivenverschränkung
Verlag Barbara Budrich 2009
264 Seiten
29,90 €

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