fK 3/11 Meier-Gräwe Wagenknecht

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Frühe Hilfen sind eine Zukunftsinvestition

Eine Kosten-Nutzen-Analyse im Projekt „Guter Start ins Kinderleben“ im Auftrag des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen

Von Uta Meier-Gräwe und Inga Wagenknecht

Die Sensibilität und Aufmerksamkeit für das Thema Kindeswohlgefährdung ist in den letzten Jahren in Deutschland deutlich gestiegen. Vielerorts sind Programme und Projekte zur Verbesserung des Kinderschutzes entstanden, in denen die Vernetzung und Kooperation zwischen Gesundheits- und Jugendhilfe gestärkt und Angebote für junge Familien ausgebaut wurden. Gleichwohl werden präventive, niedrigschwellige Angebote gegenüber den Pflichtaufgaben in der Kinder- und Jugendhilfe faktisch immer noch als nachrangig behandelt, insbesondere bei prekärer kommunaler Haushaltslage.

Die Studie „Kosten-Nutzen-Analyse Früher Hilfen“ weist nach, wie verhängnisvoll diese Finanzierungspraxis für die betroffenen Individuen und die Gesellschaft insgesamt ist. Die Expertise enthält zunächst eine Kostenanalyse Früher Hilfen, die im Rahmen des Projekts „Guter Start ins Kinderleben“ erstellt wurde. Diese analysiert die Ausgaben, welche durch konkrete Maßnahmen des Kinderschutzes am Projektstandort Ludwigshafen entstanden sind. Insbesondere im Bereich der Jugendhilfe und im Gesundheitswesen waren zunächst zusätzliche Ressourcen notwendig, um die Vernetzung und Kooperation zwischen den Akteuren aufzubauen und sicherzustellen, die Risikoeinschätzung im Krankenhaus zu finanzieren und die Familien mit angemessenen Hilfen zu unterstützen. Darüber hinaus wurden die beteiligten Personen im Kinderschutz geschult und für passgenaue Hilfen weitergebildet. Zudem wurde im Jugendamt eine Stelle „Fachdienst Guter Start ins Kinderleben“ als Ansprechpartner für die Familien und die Akteure im Netz Früher Hilfen eingerichtet. Die Kosten betragen nach den Auswertungen dieser Studie im Durchschnitt 7.274 Euro pro Fall, bei dem eine erhöhte Risikobelastung festgestellt wurde. Bei über 60 Prozent der Fälle lagen die Kosten unter 1.000 Euro.

Betrachtet man jedoch die Kosten, die entstehen, wenn ein Kind von Vernachlässigung und/oder Misshandlungen betroffen ist, zeigt sich, wie vergleichsweise minimal die Kosten der Prävention gegenüber den Folgekosten einer Kindeswohlgefährdung sind. Denn Kindesmisshandlung und Vernachlässigung haben für die betroffenen Kinder schwerwiegende Folgen, die weit über die unmittelbare Schädigungswirkung der Kindeswohlgefährdung hinausgehen und sich u. a. in Entwicklungsverzögerungen, psychischen Störungen, Schulversagen aber auch chronischen Krankheiten und erhöhten Delinquenzraten zeigen.

Zur Darstellung dieser Folgen und damit einhergehender Folgekosten wurden – basierend auf vorhandenen Forschungsarbeiten und Expertengesprächen – vier verschiedene Szenarien erstellt (zwei moderate, zwei pessimistische Szenarien) und berechnet. Diese zeichnen fallbezogen die Folgen von Kindesmisshandlung und -vernachlässigung im Lebenslauf nach und verdeutlichen, welche kumulativen Kosten hierdurch kurz- und langfristig entstehen. Solche Kosten werden insbesondere in den Bereichen der tertiär-präventiven/intervenierenden Jugendhilfe, für kurative Angebote (Behandlung von Folgeerkrankungen wie z. B. psychische Störungen) sowie durch Delinquenz und Wertschöpfungsverluste im Erwerbssystem (Arbeitslosigkeit, Wertschöpfungsverluste durch geringe Qualifikation) erwartet.

Kontrastiert man diese Folgekosten mit den Kosten Früher Hilfen zeigt sich, dass diese im moderaten Szenario 60-mal und beim pessimistischen Szenario 159-mal höher liegen als die Kosten der Prävention. Da sich die Präventionskosten ausschließlich auf die Frühen Hilfen beziehen, d. h. auf Hilfen von der Geburt bis zum dritten Lebensjahr der Kinder, wurden in einer weiteren Berechnung auch Kosten dargestellt, die den weiteren Lebenslauf mit betrachten und dort entstehende (geschätzte) Aufwendungen berücksichtigen. Hier zeigt sich, dass auch unter Einbeziehung dieser zusätzlichen Ausgaben der Nutzen eindeutig positiv bleibt. Denn das Verhältnis der Kosten Früher Hilfen beträgt gegenüber den Kosten von Kindeswohlgefährdung unter den getroffenen Annahmen bei dem moderaten Szenario 1:13 und beim pessimistischen Szenario 1:34.

Die erzielten Befunde der Studie sprechen – bei aller noch notwendigen begleitenden Evaluation über längere Zeiträume – für einen entschiedenen Paradigmenwechsel in den Finanzierungsstrukturen von Gesundheitswesen und Jugendhilfe: Gelingt es, durch Frühe Hilfen Entwicklungsrisiken zu erkennen, einen guten Zugang zu (gefährdeten) Familien herzustellen, Unterstützung und Hilfen im Sinne eines guten „Übergangsmanagements“ anzubieten und damit eine mögliche Kindesvernachlässigung und Misshandlungen zu verhindern, ist das für das Wohlergehen der Kinder, aber auch für die Gesellschaft unermesslich und führt somit zu einer `doppelten Dividende`.

Das derzeitige Wissen und der Forschungsstand in diesem Bereich verweisen bereits heute darauf, dass Frühe Hilfen als eine sinnvoll angelegte Zukunftsinvestition für die betroffenen Kinder, aber auch für die Gesellschaft insgesamt begriffen werden müssen. Die derzeitige Finanzierung mit Schwerpunkt in den späteren Lebensjahren sollte deshalb durch eine konsequente Umsteuerung zugunsten einer Unterstützung von Geburt an verändert werden.

Die Expertise „Kosten und Nutzen Früher Hilfen. Eine Kosten-Nutzen-Analyse im Projekt Guter Start ins Kinderleben“ erscheint in Kürze als Band 4 der Reihe „Materialien zu Frühen Hilfen“ und umfasst 96 Seiten. Sie ist als Download sowie in gedruckter Form im Nationalen Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) unter www.fruehehilfen.de kostenlos zu beziehen oder unter Angabe der Bestellnummer 16000122 unter der Adresse: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 51101 Köln, Fax: 0221-89 92 257, E-Mail: order@bzga.de

Prof. Dr. Uta Meier-Gräwe ist Leiterin des Lehrstuhls Wirtschaftslehre des Privathaushalts und Familienwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen und 1. Vizepräsidentin der Deutschen Liga für das Kind.

Dipl. oec. troph. Inga Wagenknecht ist Projektmitarbeiterin am Lehrstuhl Wirtschaftslehre des Privathaushalts und Familienwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen.

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