fK 1/11 Gautier

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Zweisprachigkeit in der Krippe

von Julia Gautier

Englisch schon in der Kinderkrippe – ist das wirklich notwendig? Werden die Kinder dabei nicht überfordert? Sollten die Kinder nicht zunächst ihre Muttersprache intensiv erlernen, bevor sie mit einer zweiten Sprache konfrontiert werden? Bringt das denn überhaupt nachhaltig einen Vorteil? Diese und ähnliche Fragen werden unseren pädagogischen Mitarbeitern sehr häufig gestellt. Vor allem dann, wenn Eltern sich zum ersten Mal mit dem Thema Bilingualität in der Kinderkrippe beschäftigen.

Aufgrund unserer bisherigen Erfahrungen können wir guten Gewissens bestätigen, dass ein zweisprachiges Konzept sehr erfolgreich und mit wenig Aufwand umzusetzen ist, sofern man mit der so genannten – aus unserer Sicht sehr bewährten – Immersionsmethode arbeitet. In allen Gruppen unserer Kindertagesstätten fördern wir die Multilingualität der Kinder. Jeweils ein muttersprachlicher Betreuer aus dem englischen oder französischen Sprachraum begleitet die Kinder aus jeder Gruppe. Sie alle arbeiten hierbei nach dem Immersionsprinzip.

Methode, eine Fremdsprache so zu vermitteln, dass die jeweilige Sprache völlig natürlich für die Beschäftigung mit der Umwelt eingesetzt wird. Nach Ansicht des Kieler Sprachwissenschaftlers Prof. Dr. Henning Wode, der seit Jahrzehnten bilinguale Unterrichtsmethoden wissenschaftlich untersucht und den Immersionsansatz in Kindertagesstätten und Grundschulen eingeführt hat, muss hierbei auf folgende Faktoren geachtet werden: Zum einen müssen die Kinder durchgängig ganztägig Kontakt zur neuen Sprache haben, um sie erfolgreich lernen zu können. Des Weiteren müssen sie den Zugang zur neuen Sprache über einen längeren Zeitraum, und zwar kontinuierlich über sechs bis sieben Jahre, erhalten. Drittens muss der Kontakt zur neuen Sprache strukturell möglichst vielfältig gestaltet sein, also nicht auf einzelne Sachbereiche beschränkt sein, sondern sollte möglichst die ganze Sprache umfassen.

Der Begriff Immersion versinnbildlicht hierbei sehr gut das Prinzip: Das Kind taucht in eine Welt ein, in der alles in einer anderen Sprache passiert. Um dies zu ermöglichen, sind unsere Native Speaker feste Bezugspersonen für die Kinder. Das bedeutet, jedes Gruppenteam besteht aus drei festen Mitarbeitern, von denen jeweils eine Person Englisch beziehungsweise Französisch spricht. Die Kinder haben somit die Möglichkeit, tragfähige Beziehungen zu den Native Speakern aufzubauen. Sie erleben sowohl Deutsch als auch Englisch beziehungsweise Französisch als alltägliche Arbeitssprache.

Dies ist aus unserer Sicht eine ebenso Erfolg versprechende wie spielerische und kindgerechte Lernmethode. Wir bieten in unseren Kindertagesstätten bewusst keinen Englischunterricht an, sondern vermitteln den Kindern die neue Sprache ganz nebenbei im Alltagsgeschehen. Deshalb sprechen alle Mitarbeiter bei der täglichen Arbeit mit den Kindern ausschließlich in ihrer Muttersprache. So erleben die Kinder das so genannte „one person, one language“-Prinzip. Sie wissen genau, welcher Betreuer welche Sprache spricht und versteht. Somit können die Kinder frei entscheiden, mit welchen Bedürfnissen sie an welche Person herantreten möchten.

Alle unsere Native Speaker arbeiten in der Regel als Zusatzkräfte in unseren Kindertagesstätten. Wir besprechen stets im Vorfeld, wie das Immersionsprinzip zu verstehen ist und bekräftigen hierbei die Notwendigkeit, vor den Kindern ausschließlich und konsequent in der eigenen Muttersprache zu sprechen. Wir legen dabei besonders viel Wert darauf, dass die Mitarbeiter ihre einzelnen pädagogischen Aufgaben gleichmäßig Weise aufteilen, so dass das, was den Kindern Spaß macht, nicht auf einen speziellen Mitarbeiter konzentriert ist. So können wir gewährleisten, dass alle Kinder im Laufe des Tages mit den Native Speakern in Kontakt kommen.

Gleichzeitig versuchen die englischen und französischen Mitarbeiter, ihr Sprechen durch ein bestimmtes Handeln sowie Gestik oder Mimik zu unterstützen, damit die Kinder noch leichter verstehen können, was gerade gesagt wurde. Beispielsweise fragt die englische Mitarbeiterin beim Frühstück: „Does anybody want some more tea?“ Dabei hält sie die Kanne mit dem Tee hoch und zeigt sie den Kindern. Sollten die Kinder tatsächlich einmal etwas nicht verstehen, kann die deutsche Mitarbeiterin nachhaken. Merkt sie, dass die Kinder nicht reagieren, fragt sie beispielsweise: „Schaut mal! Rachel hat noch Tee für Euch, möchte noch jemand etwas?“ Dabei ist ein besonderes Augenmerk darauf zu legen, dass sie nicht wörtlich übersetzt. Wenn ein Kind ein Wort nicht richtig aussprechen kann, wird die Native Speakerin genauso wie die deutsche Pädagogin den Satz oder das Wort im Kontext noch einmal richtig wiederholen, nicht jedoch das Kind mit der richtigen Aussprache belehren.

Immer wieder fragen uns Eltern und auch Kollegen aus anderen Kindertagesstätten, ob denn die Krippenkinder überhaupt schon eine zweite Sprache verstehen können. Bereits wenige Wochen nach der Eröffnung von Elly & Stoffl konnten wir feststellen, dass die Kinder die neue Sprache jeden Tag ein bisschen besser erlernten. Sowohl die Krippen- als auch die Kindergartenkinder können innerhalb kurzer Zeit problemlos verstehen, was die englischen oder französischen Mitarbeiter sagen. Es ist immer wieder faszinierend, wenn beispielsweise ein Zweijähriger auf die Frage „What´s the magic word?“ ganz selbstverständlich und ohne zu zögern mit „Bitte“ antwortet. Dies geschieht natürlich auch immer wieder anders herum. So fragt die deutsche Mitarbeiterin beispielsweise „Was sagt man denn, wenn man noch etwas Suppe haben möchte?“ und ein Kind antwortet mit „Please“. Wie gut und schnell die Kinder beide Sprachen erlernen, fällt uns immer wieder in alltäglichen Situationen, bei pädagogischen Angeboten oder in der Freispielzeit auf, da sie stets alle Erklärungen oder Aufforderungen unserer Mitarbeiter verstehen und entsprechend darauf reagieren.

Die Frage nach einer möglichen Überforderung begegnet uns immer wieder. Da die Kinder jedoch ohne Üben, Korrekturen oder Erklärungen mit der neuen Sprache in Kontakt kommen, kann eine Überforderung im klassischen Sinne per se ausgeschlossen werden. Oft fragen uns die Eltern im Gegenzug, wann sie denn damit rechnen könnten, dass ihr Kind zu Hause Englisch spricht oder auf Englisch antwortet. Oftmals ist die Enttäuschung groß, wenn die Eltern zu Hause mit den Kindern plötzlich Englisch sprechen und die Kinder nicht wie erwartet in englischer Sprache reagieren. Auch das Übersetzen von einzelnen Wörtern wird von den Eltern häufig erwartet und diese Erwartung oftmals nicht erfüllt. Hier gilt es, die Eltern von Anfang an sehr genau über den Spracherwerb und das bilinguale Konzept aufzuklären sowie Transparenz zu schaffen. Kinder haben zu Hause kaum oder gar keinen Anreiz, mit den Eltern plötzlich Englisch zu sprechen, wenn normalerweise Deutsch miteinander gesprochen wird. Die Kinder wissen genau über den muttersprachlichen Hintergrund ihrer Eltern Bescheid und haben daher keinen Anlass, zu Hause eine andere als die gewohnte Sprache zu sprechen. Wir informieren die Eltern stets auch darüber, dass sie nicht unvermittelt mit den Kindern englisch sprechen sollten, wenn dies nicht ihrer Muttersprache entspricht. Oft sind die Eltern der Meinung, dass sie ihren Kindern dadurch den Zugang zu einer zweiten Sprache erleichtern und sie im Zweitspracherwerb unterstützen. Dies entspricht gerade nicht der Philosophie des Immersionsprinzips. Anders gilt dies natürlich für Familien, die aufgrund ihrer Herkunft ihre Kinder zweisprachig erziehen. In diesem Fall erleben die Kinder das immersive Sprachkonzept bereits zu Hause und führen dies in der Kindertagesstätte automatisch fort. In der Praxis zeigt sich immer wieder, dass diese Kinder dann auch in der Krippe und später im Kindergarten beide Sprachen aktiv sprechen – welche Sprache sie öfter sprechen, ist jedoch vom einzelnen Kind abhängig. Kinder suchen sich im Alltag nachweislich immer diejenige Sprache aus, die für sie in einem bestimmten Moment die reizvollere oder bequemere ist.

Mittlerweile sprechen sehr viele unserer Kindergartenkinder bei Elly & Stoffl regelmäßig und in grammatikalisch einwandfreien, vollständigen Sätzen Englisch oder Französisch mit den Native Speakern. Aber auch in den Krippengruppen erleben wir jeden Tag, dass das bilinguale Konzept sehr erfolgreich umgesetzt wird. Idealerweise besuchen diese Kinder im Anschluss an ihre Krippenzeit eine unserer Kindergartengruppen, so dass sie die Zweisprachigkeit kontinuierlich über einen längeren Zeitraum erfahren. In diesem Fall ist ein nachhaltiger Erfolg tatsächlich messbar. Ich selbst bin immer wieder fasziniert und begeistert davon, wie einfach und schnell Kinder sich eine Sprache aneignen und wie spielerisch und selbstverständlich sie damit umgehen.

www.ellyundstoffl.de

Julia Gautier ist Pädagogische Gesamtleiterin der Elly & Stoffl-Kindertagesstätten in München.

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