fK 6/11 Prengel

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Inklusion in der Frühpädagogik

Der Übergang vom Kindergarten in die Schule

Von Annedore Prengel

Übergänge im Bildungswesen sind Gelenkstellen. An den Gelenkstellen zeigen sich die Probleme und Erfolge von Bildung. Die in den Übergangssituationen sichtbar werdenden Probleme und Erfolge haben unterschiedliche Ursachen, sie können sowohl relational und emotional als auch sozioökonomisch und strukturell bedingt sein. Vor dem Hintergrund der aktuellen Analysen zu Bildungsübergängen hat sich für die Verschiedenheit von Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren im gesamten Bildungswesen eine neue Aufmerksamkeit entwickelt. Eine Antwort auf die neue beachtete Heterogenität der Adressaten von Bildung bietet seit den 1970er Jahren die „integrative“ und in ihrer Folge die „inklusive Pädagogik“.

„Patchwork“ ist ein Symbol der inklusiven Pädagogik. In manchen pädagogischen Projekten bringt jedes Kind ein Stückchen Stoff mit und daraus wird ein Patchwork als Bild für die Gemeinsamkeit, die aus den einzigartigen, verschiedenen Teilen entsteht, genäht. Das jüdische Museum in Berlin hat für die Ausstellung einer dreidimensionalen Patchwork-Skulptur Raum zur Verfügung gestellt, die anlässlich des 11. September 2011 aus Kisten, die moslemische, christliche und jüdische Jugendliche bemalt hatten, zusammengefügt worden war.

In dem amerikanischen Slogan „Celebrate Diversity“ und dem kanadischen Slogan „Diversity our Strength“ zeigt sich eine große internationale Strömung. In dieser politischen, kulturellen und pädagogischen Strömung kommt die Gemeinsamkeit der inklusiven Pädagogik mit der Diversity-Education, der Pädagogik der Vielfalt, der Menschenrechtsbildung und der demokratischen Erziehung zum Ausdruck. Alle diese pädagogischen Konzepte dienen den gleichen Zielen. Sie alle betonen in ihren jeweiligen Formulierungen nur verschiedene Aspekte der gemeinsamen Intention. Sie alle verknüpfen u. a. interkulturelle, geschlechterbewusste und integrative Pädagogik. Darin zeigt sich, dass wir es mit einer sehr vielschichtigen, internationalen pädagogischen Bewegung zu tun haben.

Der folgende Beitrag zur Frage nach Inklusion im Übergang vom Kindergarten in die Schule bietet zunächst eine Einführung in theoretische Grundlagen und geht punktuell auf Aspekte der Vorgeschichte ein. Anschließend werden Konzepte Inklusiver Pädagogik auf den Ebenen der institutionellen, der didaktischen und der intersubjektiven Prozesse vorgestellt.

Grundlagen
Die „inklusive Pädagogik der heterogenen Lerngruppe“ beinhaltet ein gemeinsames Modell, das die Elementar-, die Primar- und die Sekundarstufe I umfasst. Dieses Modell beruht für alle Stufen auf gemeinsamen sozialphilosophisch begründeten Prinzipien. Als grundlegende Werte der inklusiven Pädagogik der heterogenen Lerngruppe sind „Egalität“ und „Heterogenität“ zu nennen.

Zur Perspektive der Gleichheit
Die inklusive Pädagogik der heterogenen Lerngruppe eröffnet zunächst eine Perspektive der Gleichheit. Sie sieht Kinder als Gleiche an hinsichtlich ihrer körperlichen und emotionalen Grundbedürfnisse und hinsichtlich ihres Rechts auf Bildung und weiterer Rechte. Diese Gleichheitshinsichten sind vor allem in einem Dokument verbrieft: In der der UN-Kinderrechtskonvention, die sich auf 0- bis 18-Jährige bezieht. Und – über diese Altersgruppe hinaus – betont die Behindertenrechtskonvention einmal mehr das Gleichheitsrecht auf Bildung für ausnahmslos alle! Auf dieser Basis geht es um die Verschiedenheit der Lernenden.

Zur Perspektive der Heterogenität
Die Beachtung der Heterogenität lässt sich auffächern auf mehrere Bedeutungsebenen. Hierzu gehören Verschiedenheit, Vielschichtigkeit, Veränderlichkeit und Unbestimmbarkeit.

Verschiedenheit: Heterogen wird primär in der Bedeutung von verschieden, anders, plural aufgefasst. Dazu werden Kategorien benutzt und wir unterscheiden Kinder hinsichtlich ihres Alters, ihrer ökonomischen Lebenslagen, ihrer ethnisch-kulturellen Herkünfte, ihrer religiösen Glaubensrichtungen, ihrer Geschlechtszugehörigkeiten, ihrer sich herausbildenden sexuellen Orientierungen, ihrer Herkunftsfamilien und der Qualität ihrer Bindungserfahrungen, ihrer körperlichen, emotionalen, sozialen und kognitiven Entwicklung und Sozialisation, ihrer Erfahrungen in den Peergruppen, ihrer individuellen Bildungsbiografien. Es gibt noch eine Fülle von weiteren Gruppierungen. Dazu gehören: die Kinder beruflich Fahrender, die Kinder ohne sicheren Aufenthaltsstatus, die hochbegabten Kinder, die Kinder aus Regenbogenfamilien, die Kinder mit psychisch kranken Eltern, die Kinder mit kriminellen Eltern, die Pflege- und Adoptivkinder, vernachlässigte, missbrauchte und misshandelte Kinder, reiche Kinder, luxusverwahrloste Kinder, halbwaise und elternlose Kinder, kranke Kinder, sterbende Kinder und Kinder, denen es so gut geht wie nie in einer Generation zuvor.

Vielschichtigkeit: In einer weiteren Perspektive richten wir unsere Aufmerksamkeit auf intrapersonelle oder intrakollektive Heterogenität, also auf die personale oder gruppenbezogene Vielschichtigkeit. Psychologische Forschungen, auch die Psychoanalyse, arbeiten mit einem vielschichtigen Modell des Selbst, das eine Vielzahl von Substrukturen aufweist. Daraus folgt eine Aufmerksamkeit für die jeweils nicht im Vordergrund sichtbaren Persönlichkeitsanteile und wir fragen uns zum Beispiel, welche ganz anderen Empfindungen sich hinter der Aggressivität, hinter der Hilfsbereitschaft, hinter der Höchstleistung usw. eines Kindes verbergen könnten. Wir sind also herausgefordert, plurale, sich überschneidende Kategorien zu denken, um Pauschalisierungen zu vermeiden.

Veränderlichkeit: Äußerst wichtig ist für die Inklusive Pädagogik die Aufmerksamkeit für die Veränderlichkeit der Gruppierungen oder der einzelnen Person. Heterogen wird hier interpretiert als prozesshaft, in Bewegung, dynamisch sich entwickelnd. Daraus folgt der Verzicht auf identifizierende Festschreibungen aller Art, ob sie sich nun auf kulturelle Differenzen, auf Ability-Differenzen, auf Geschlechterdifferenzen oder auf Aussagen zur individuellen Diagnostik beziehen. Stets geht es darum zu wissen, dass Aussagen über Menschen grundsätzlich nur als vorläufig gültige Arbeitshypothesen getroffen werden sollten. Diese Dynamik betonen gegenwärtig Ansätze, die die Vorsilbe „trans“ benutzen, so zum Beispiel „Transkulturalität“ und „Transgender“ oder auch die für den Übergang zwischen Elementar- und Primarbereich wichtigen „Transitionen“.

Unbestimmtheit: Besonders interessant ist für die Inklusive Pädagogik ein Verständnis von „Heterogen“ in einer weiteren Bedeutung als unbegreiflich und unsagbar. Diese Deutung stellt heraus, dass Begriffe, Definitionen, Daten, Diagnosen und Forschungsergebnisse Realität nicht abbilden können. Stets existieren relevante Aspekte der Kinder, mit denen wir arbeiten oder über die wir forschen, die unsere Erkenntnisse nicht erfasst haben. Daraus folgt die Einsicht, dass es unmöglich ist, einen Menschen definitiv zu diagnostizieren oder einer Kategorie zuzuordnen. Unerlässlich ist die Offenheit für Unbestimmtes, Unvorhergesehenes, Unbekanntes und damit auch für Spontaneität, Eigenlogik und Kreativität sowie eine vehemente Kritik an etikettierenden Zuschreibungen. Zugleich sind aus meiner Sicht fachlich fundierte Kategorien unverzichtbar, denn ohne sie wären weder Bildungsstatistik noch die Erarbeitung bestimmter pädagogischer Konzepte noch diagnostische Aussagen möglich. Aber wir sollten wissen, dass kategoriale Aussagen immer nur Annäherungen an Wirklichkeit erlauben.

Egalitäre Differenz als Gleiche Freiheit
Nach dem Durchgang durch die für das Bild vom Kind in der Inklusiven Pädagogik relevanten Grundlagen geht es nun darum, den Zusammenhang von Gleichheit und Verschiedenheit zu klären. Verschiedenheit oder eben Heterogenität wird prägnant durch Abgrenzung von Homogenität und Hierarchiebildung, also von Angleichung und von Rangordnung. Das Denken der Differenz wurde im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts inspiriert durch „postmoderne“ und „kritische“ sozialphilosophische Ansätze. Zu erinnern ist an Adornos berühmtes Diktum, den Wunsch, ohne Angst verschieden sein zu können (Adorno 1976, S. 130 f.). Aber ähnliche Vorstellungen finden sich auch in älteren historischen Traditionslinien, zum Beispiel in der von Lessing im Geiste der Aufklärung geschaffenen Figur „Nathan der Weise“ oder im interreligiösen Zusammenleben des Al Andalus im maurischen Spanien. Daran wird deutlich: Die Wertschätzung von Gleichheit und Verschiedenheit bedingen einander. Denn Gleichheit ohne Differenz wäre Gleichschaltung und Differenz ohne Gleichheit wäre Hierarchie.

Die Denkfigur der „egalitären Differenz“ bringt präzise auf den Begriff, um was es geht. Sie ist ein anderes Wortspiel für das, was den Kern der Menschenrechtsidee ausmacht: Die gleiche Freiheit! Bei Lichte betrachtet ist das Wertschätzen von Vielfalt nichts anderes als das Wertschätzen von Freiheit. Wie ich ausgeführt habe, zeichnet sich Heterogenität durch ihre Unbestimmbarkeit aus, die beinhaltet, dass es gerade nicht darum geht, Kinder auf eine Identität zum Beispiel als behindert, als ausländisch, als eingewandert, als männlich oder weiblich festzulegen. Es geht um das Ideal, jedem lernenden Menschen die Möglichkeit, einen eigenen Lernweg und einen eigenen Lebensentwurf zu suchen, zuzugestehen. Darin, dass das für jedes Kind gleichermaßen gelten soll, zeigt sich der unauflösliche Zusammenhang vom Recht auf Gleichheit und vom Recht auf Freiheit.

Ich fasse den ersten Teil des Beitrags zusammen: Ausgangspunkt von Inklusion ist die Gleichheit und Verschiedenheit ihrer Adressaten. Inklusive Pädagogik stellt sich die Aufgabe, den Zusammenhang von Gleichheit und Verschiedenheit auf allen Bildungsstufen auszubalancieren. Darin kommt eine Hoffnung zum Ausdruck: Eine inklusive Pädagogik möge im gesellschaftlichen Teilsystem Bildungswesen Beiträge zur Demokratisierung in der aktuellen Phase moderner Gesellschaften leisten.

Vorgeschichte
Die Strukturen, mit denen wir es heute zu tun haben, beruhen auf langfristigen historischen Entwicklungen. Ich möchte an dieser Stelle an wenige Personen erinnern, die strukturell einflussreich wurden, weil sie dem Mainstream ihrer Zeit entgegenwirkten.

Zu erinnern ist daran, dass schon im siebzehnten Jahrhundert Comenius ein Konzept für die elementare Bildung aller Kinder entworfen hat. Zu erinnern ist an die Regierende Fürstin Pauline zur Lippe, die 1802 die erste deutsche Kinderbewahranstalt gründete. Ihr ging es darum, die Kinder der Arbeiterinnen nicht verelenden zu lassen. Ihre vielseitigen Sozialreformen führten die Innovationen fort, die ihre Schwiegermutter, genauer, die Pflegemutter ihres früh verstorbenen Mannes, Fürstin Kasimire zur Lippe, geborene von Anhalt-Dessau eingeleitet hatte (Wehrmann 1972). Kasimire war eine enge Freundin der Gründer einer bedeutenden Musterschule: Christiane-Louise und Friedrich-Eberhard von Rochow. Sie war oft zu Gast auf der Rochowschen Gutsherrschaft im brandenburgischen Reckahn und sie pflegte eine innige Brieffreundschaft mit Christiane Louise (vgl. Prengel, Schmitt 2010).

In dem kleinen brandenburgischen Dorf Reckahn gründete das Paar 1773 eine schön gebaute, helle Dorfschule, in der ein sehr gut ausgebildeter und bezahlter Lehrer, Julius Heinrich Bruhns, Mädchen und Jungen unterrichtete. Zahlreiche Besucher kamen von nah und fern, um den aufgeklärten Unterricht zu sehen. Der Einfluss der Rochowschen Pädagogik ist auch für die Volksaufklärung am Ort der Veranstaltung der Deutschen Liga für das Kind 2011, Hamburg, nachgewiesen (vgl. Kopitzsch 1990, S. 683). Auch Kasimire hat diese Schule oft besucht und sich für ihre Sozialreformen in Lippe-Detmold inspirieren lassen, in deren Folge ihre Schwiegertochter Pauline als Regentin die Kinderbewahranstalt einrichtete, die als historisch erste gilt. Hier ein Rochow-Zitat, das die Gründe der aufgeklärten Schul- und Sozialreformer und Reformerinnen offenlegt: „Ich denke doch nicht, (…) dass man den Verstand eines Bauernkindes und seine Seele für Dinge einer anderen Gattung hält als den Verstand und die Seelen der Kinder höherer Stände“ (zitiert nach Schmitt 2007, S. 167). Wir sehen: Den historisch bedeutsamen institutionellen Gründungen lag ein aufgeklärtes Bild vom Kind zugrunde, das von einem universellen, egalitären Humanismus geprägt war, der bis in die heutigen Inklusionskonzepte des Elementarbereichs und des Primarbereichs maßgeblich ist.

Im Anschluss an diese ausgewählten, hier exemplarisch vorgestellten, bedeutenden einzelnen Gründungen hat im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts eine langsame Entwicklung der beiden Bildungsstufen in der Fläche stattgefunden. Heute, mehr als 200 Jahre später, ist der Stand: Die Schulpflicht wurde flächendeckend umgesetzt und den Kindergarten besuchen nach Erhebungen des Deutschen Jugendinstituts mehr als 90 Prozent aller Kinder. Und ein Viertel der regulären Kindergärten nimmt – in unterschiedlichen Ausprägungen – weitgehend alle Kinder auf. In dieses Viertel aller Kindertagesstätten geht heute die Hälfte aller behinderten Kinder.

Die Regelschulen lassen sich Zeit und nehmen immer noch nicht mehr als ein Sechstel der behinderten Kinder auf. Die immer noch im Grund ständisch separierenden Strukturen des deutschen Schulwesens führen für 40 Prozent der Schülerinnen und Schüler zur Erfahrung des Ausschlusses aus der bisherigen Lerngruppe. Schlechte Leistungsbewertungen führen zu Zurückstellungen, Sitzenbleiben, Sonderschulüberweisungen und Abschulungen. Nur 16 Prozent der Kinder mit Behinderungen werden integrativ in der Regelschule unterrichtet. Für die kleine Minderheit der Schüler(innen) mit Förderschwerpunkt emotional-soziale Entwicklung kommen zusätzlich zahlreiche Klassen- und Schulwechsel, Überweisungen in Heime, Psychiatrien und Pflegefamilien hinzu (Stähling 2006). Alle diese institutionellen Abstufungen gehen mit der Erfahrung der Trennung und der Deklassierung einher.

Wir sehen: In der Frühpädagogik hat eine recht erfolgreiche inklusive Entwicklung stattgefunden, während die Schulpädagogik wesentlich langsamer vorankommt und noch Nachholbedarf hat. An der Langsamkeit und Widersprüchlichkeit der genannten historischen Entwicklungen lässt sich erkennen: Menschenrechtserklärungen, demokratische Verfassungen und die ihnen verpflichteten inklusiven Bildungsmodelle formulieren Ziele. Sie sind nicht Beschreibungen gesellschaftlicher Wirklichkeit. Demokratie ist – in allen gesellschaftlichen Bereichen – unvollkommen. Realität hat auch in demokratischen Gesellschaften mit den historisch stets gegebenen Brüchen und Unvollkommenheiten zu tun.

Konzepte inklusiver Bildung
Es wäre falsch, die inklusive Pädagogik zu idealisieren. Es ist wichtig, auch die inklusive Pädagogik der heterogenen Lerngruppe als fehlbar und in ihrer Verwickeltheit in gesellschaftliche Zwänge und menschliche Schwächen zu begreifen. Denn auch in inklusiven Einrichtungen kann die Integration sich mal besser und mal schlechter entwickeln. Doch gerade mit dieser Bewusstheit kann inklusive Pädagogik Schritte zur Demokratisierung in der Bildung gehen. Mit einer solchen reflexiven Haltung möchte ich nun auf konkrete Konzepte inklusiver Bildung im Übergang vom Elementar- zum Primarbereich eingehen, indem ich drei zentrale Ebenen des Bildungswesens analysiere.

Institutionelle Ebene
Inklusive Pädagogik beginnt mit institutioneller Gleichheit. Alle verschiedenen Kinder sollen für die Jahre ihrer elementaren und ihrer grundlegenden Bildung an einem gemeinsamen Ort lernen. Das von Reinhard Stähling (2006) dokumentierte Modell beinhaltet die Annäherung zwischen allen Institutionen, die für Kinder verantwortlich sind – also zwischen Kitas, Horten, Jugendhilfe, Sonderpädagogik und Grundschule. Alle Angebote, Hilfen und Maßnahmen kommen zum Kind, an seinen Ort in der wohnortnahen, eng kooperierenden Kita und Schule. Wie Reinhard Stähling hat auch Ulrike Becker (Becker, Prengel 2010) mit dem „Projekt Übergang“ Strukturen geschaffen, in denen Angehörige verschiedener pädagogischer Berufe, aus Sozialpädagogik, Sonderpädagogik, Schulpädagogik und Jugend- und Schulämtern sowie die Eltern kontinuierlich zusammenarbeiten. Es gelingt so, Kinder in schwierigsten Lebenslagen in ihrem sozialen Umfeld an ihrer Kita und ihrer Schule zu halten.

Von besonderer Bedeutung sind auf der institutionellen Ebene die folgenden Punkte:
(1) Ein zentrales Problem der Inklusionspädagogik ist gegenwärtig, dass sie als Sparmodell missbraucht wird. Es ist erforderlich, dass alle personellen und sächlichen Ressourcen, die Kindern mit Behinderung in Sonderschulen und -einrichtungen zu Gute kommen, mit ihnen in die Regeleinrichtungen einwandern und ihnen auch dort in vollem Umfang zur Verfügung stehen, natürlich ohne zu Separation innerhalb der inklusiven Settings zu führen.
(2) Sonderpädagog(inn)en werden in der Inklusiven Kita und Schule mit ihren Kompetenzen gebraucht. Das Modell der sonderpädagogischen Beratung nach Helmut Reiser sieht vor, dass sie fachliches Wissen recherchieren und an die Erzieher(innen) und Klassen- und Fachlehrer weitergeben, damit diese auf dem aktuellen Erkenntnisstand pädagogische Angebote gestalten können.
(3) Mit der Annäherung ihrer Strukturen haben Elementar- und Primarbereich in den letzten Jahren international bedeutende Erfahrungen gemacht. Das Schweizerische Modell der Basisstufe ist hier wegweisend, denn darin wurden sorgfältig Strukturen für heterogene Lerngruppen entwickelt und evaluiert. Als weitere Modelle sind zu nennen: FLEX in Brandenburg, Transkigs und Ponte und das bedeutende neuseeländische Te Whäriki!

Didaktische Ebene
Die lange tradierte Trennung zwischen Elementar- und Primarbereich hat zur Polarisierung geführt, die sich um die Begriffe Spiel versus Lernen zentriert. Es wird einerseits vor einer Kolonisierung des Kindergartens durch schulische Einflüsse und andererseits vor einer Kuschelpädagogik in der Schule durch frühpädagogische Einflüsse gewarnt. Die Didaktik der inklusiven heterogenen Lerngruppe trachtet danach, diese Spaltung zu überwinden, denn die anfangs erläuterten Prinzipien der Gleichheit und der Freiheit für Heterogenität sind für beide Bildungsstufen maßgeblich.

Zum lange erprobten didaktischen Repertoire beider Stufen gehören die reformpädagogischen Ansätze mit innerer Differenzierung durch Freispiel, Freiarbeit und Projektarbeit, wie sie in der Reggiopädagogik oder in der Montessoripädagogik entwickelt wurden.

Der Öffnung für heterogene Interessen, Themen und Kreativität der Kinder einerseits steht nun aber andererseits die Notwendigkeit einer zielgleichen Vermittlung von Kompetenzen in den Kulturtechniken gegenüber. Für alle Kinder gelten im Bereich der grundlegenden Kulturtechniken gleiche Ziele, u. a. Lesen lernen. Dieser Bildungsstandard „lesen“ wird aber stufenförmig aufgefächert, damit jedes Kind die Zone seiner individuell nächsten Entwicklung anstreben kann. Pädagogische Fachkräfte und Kinder brauchen für ein solches individualisiertes zielgleiches Lernen zwei Unterstützungssysteme: Kompetenzstufenmodelle und eine vorbereitete Umgebung mit auf die Stufen abgestimmten Lernmaterialien.

Ich möchte dafür plädieren, die beiden Ziele nicht gegeneinander auszuspielen, sondern in beiden Stufen didaktisch miteinander zu verknüpfen Beides ist – jeweils altersgerecht – aus guten Gründen notwendig: Die Freiheit für kindlichen Eigensinn und das so weit wie individuell mögliche Erlernen der von verantwortlichen Erwachsenen als grundlegend erachteten Kulturtechniken. Gerade für bildungsbenachteiligte Kinder kann solche zielgleich-individualisierende Förderung eine existentielle Chance sein, vor allem wenn sie sie zu Hause nicht erfahren können.

Beziehungsebene
Für die Begründung und Realisierung inklusiver Pädagogik ist die Ebene interpersoneller Beziehungen zentral. Als stichhaltiges Argument für die gemeinsame Erziehung wird immer wieder postuliert, dass Kindern mit und ohne Behinderung, Kindern aus verschiedenen Kulturen und Subkulturen, Kindern auf verschiedenen Entwicklungsständen oder Kindern verschiedenen Geschlechts das Zusammensein mit den jeweils anderen nicht vorenthalten werden darf. Die Siegener Integrationsforscherin Maria Kron formuliert pointiert: „In der Entwicklungslogik ist es widersinnig, Kinder in ihrer wichtigsten Sozialisationsphase voneinander zu isolieren und später von ihnen als Jugendliche oder Erwachsene zu verlangen, dass sie sich gegenseitig in ihrer Besonderheit achten und akzeptieren“ (Kron 2008, S. 193).

Zahlreiche Untersuchungsberichte stellen in eindrucksvollen, dichten Beschreibungen dar, wie Inklusion gelingt und wie Kinder lernen, sich als Gleichberechtigte und als Verschiedene zu achten. Aber es wurden auch Situationen untersucht, in denen Peer-Beziehungen erschwert sind. Vier Beziehungsmuster wurden in frühpädagogischen Forschungsprojekten erhoben: (1) Wenn ein dominanzbestrebtes Kind oder eine kleine Subgruppe durch physisch oder verbal aggressives Auftreten eine stabile Hierarchie etabliert, kommt es zur Ausgrenzung von anderen.
(2) Wenn ein überlegen erscheinendes Kind Hilfe gegenüber Schwächeren übertrieben oder übergriffig auslebt, kann es versäumen, die Bedürfnisse des vermeintlich Schwachen und die eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen.
(3) Wenn Kinder sich gerade erst neue Regeln und Routinen angeeignet haben, können sie dazu neigen, diese sehr rigide zu vertreten und Kinder, die aufgrund einer Behinderung dem neuen Anspruch nicht genügen, abzulehnen. Hier sind auch Fähigkeiten der Körperbeherrschung und der Kontrolle von Mundschluss, Blase und Darm zu nennen, so dass es vorkommt, dass inkontinente Kinder es besonders schwer haben, akzeptiert zu werden.
(4) Wenn Kinder mit geringer Fähigkeit zur Selbststeuerung und mit eigener Orientierungslosigkeit nicht in der Lage sind, sich anderen auf akzeptable Weise anzunähern, können sie andere stören oder verletzen.

Diese Beziehungsprobleme zwischen Kindern machen deutlich, dass Inklusion Aufmerksamkeit für das Geschehen und sensible Interventionen der pädagogischen Fachkräfte auf der Peer-Ebene erfordert. Die Frankfurter Präventionsstudie (Leuzinger-Bohleber 2006) zeigt ebenso wie die Dissertation von Kirstin Urieta (2011), wie biografische Brüche und Beziehungsstörungen zu dem führen, was dann ADHS genannt wird. Die hier relevanten Erkenntnisse lassen sich in einer Einsicht bündeln: Eine gute und verlässliche pädagogische Beziehung ist das Herzstück der Inklusiven Pädagogik auf allen Bildungsstufen. Einige Kitas und wenige Schulen berücksichtigen diese zentrale Erkenntnis. Sie sorgen dafür, dass jedes Kind auf eine verbindliche und dauerhafte Beziehung vertrauen kann. Und die Erwachsenen haben die Beziehungen der Kinder im Blick, sie gehen nicht davon aus, dass sich gute Peer-Beziehungen von selbst einstellen müssen.

Im Folgenden möchte ich aus unserem überregionalen Projektnetz INTAKT (Soziale Interaktionen in pädagogischen Arbeitsfeldern) über einige Beobachtungen berichten. Wir sind dabei, mehr als 500 Beobachtungstage aus dem Anfangsunterricht auszuwerten. Dabei wird sichtbar, dass Kinder in Kitas und Schulen sowohl Ermutigungen als auch Verletzungen durch professionelle pädagogische Fachkräfte erfahren und wie durch etikettierendes Handeln bei einigen Kindern Leistung und Lernfreude blockiert werden. Die Beobachtungen belegen auch, dass es möglich ist, Kinder, die noch keinen Zugang zum Unterrichtsangebot finden, kreativ in ihrer Leistungsfähigkeit anzuerkennen und zur Leistung anzuregen. Es zeigt sich darüber hinaus, dass die Peer-Gruppen sich von den Haltungen der Erwachsenen anstecken lassen. Auch inklusive Pädagogik ist nicht grundsätzlich davor gefeit, dass Lernende missachtet werden. So fanden wir bei unseren Beobachtungen im gemeinsamen Unterricht neben einer Mehrzahl äußerst sensibel und geduldig handelnder Lehrpersonen auch eine Lehrerin, die sich vorwiegend destruktiv äußerte.

Noch ein für das Thema Übergang wichtiges Forschungsergebnis (aus unserem Potsdamer Projekt zur Verzahnung von Elementar- und Primarbereich): Kinder, die mit ihrer Peer-Gruppe gemeinsam vom Kindergarten in die Schule wechselten, nahmen in der Schule eine bessere soziale und kognitive Entwicklung. Freundschaften sind eine Quelle für Wohlbefinden und Resilienz. Fallstudien zu Übergangskrisen belegen hingegen, dass die Trennung von den vertrauten Personen im Übergang eine zusätzliche Belastung darstellt, die sich bei bereits durch frühere Trennungen traumatisierten Kindern verheerend auswirkt.

Abschließend ist festzuhalten: Wir müssen anerkennen, dass unser geistiges Fassungsvermögen nicht ausreicht, die menschliche Heterogenität mit ihren verschiedenen Facetten wahrzunehmen und zu begreifen. Wir müssen anerkennen, dass wir die Vielfalt nicht haben können. Das heißt, Inklusion ist immer nur bruchstückhaft und schrittweise zu realisieren. Jede Bildungseinrichtung ist ihrer Kultur und den historischen und kulturellen Normen ihrer Zeit verhaftet. Aber diese „erwachsene“ Anerkennung unserer Bedingtheit, Begrenztheit und Fehlbarkeit bedeutet nicht Resignation – das lehren uns die Theorien der unvollendeten Demokratie (Prengel 2011). Vor dem Hintergrund der institutionellen und didaktischen Ebene bildet die Ebene interpersoneller Beziehungen ein für alle Beteiligten existentielles Forschungs- und Handlungsfeld der inklusiven Pädagogik in Kita und Schule. Auf diesem Feld kann jede beteiligte Person in jeder Art von Einrichtung und in jeder Schulform unmittelbar integrativ wirksam werden. Angesichts der Heterogenität der Subjekte in Bildungsprozessen, die auch ihre Vielschichtigkeit, Veränderlichkeit und Unbekanntheit umfasst, bilden verlässlich Beziehungen ein tragfähiges Fundament für inklusive Prozesse in allen Bildungseinrichtungen.

Die vollständigen Literaturangaben sind über die Geschäftsstelle erhältlich.

Prof. Dr. Annedore Prengel ist Hochschullehrerin für Grundschulpädagogik an der Universität Potsdam.

Literatur
Adorno, T.W. (1976): Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Frankfurt am Main.

Kron, M. (2008): Integration als Einigung – Integrative Prozesse und ihre Gefährdungen auf Gruppenebene. In: Kreuzer, M., Ytterhus, B. (Hrsg.): Dabeisein ist nicht alles. Inklusion und Zusammenleben im Kindergarten. München, Basel, S. 189-199.

Largo, R.H. (2000): Kinderjahre. Die Individualität des Kindes als erzieherische Herausforderung. München.

Leuzinger-Bohleber, M. et al. (Hrsg.) (2006): ADHS – Frühprävention statt Medikalisierung. Göttingen.

Prengel, A. (2010 ): Inklusion in der Frühpädagogik. Bildungstheoretische, empirische und pädagogische Grundlagen. DJI, Reihe WiFF Expertisen 5 München www.weiterbildungsinitiative.de/publikationen/inklusion.html (Abruf 1.11.2011).

Prengel, A. (2011): Zwischen Heterogenität und Hierarchie in der Bildung – Studien zur Unvollendbarkeit der Demokratie. In: Ludwig, L. et al. (Hrsg.): Bildung in der Demokratie. Tendenzen-Diskurse-Praktiken. Opladen, S. 83-94.

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