fK 5/08 Peter

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Unbegleitete Flüchtlingskinder und das Kindeswohl

Ein Plädoyer für gesetzliche Reformen

von Erich Peter

Den rechtspolitischen Diskurs um die Versorgung unbegleiteter Flüchtlingskinder kennzeichnen zwei widerstreitende Grundpositionen: Einer familien- und jugendhilferechtlichen Betreuungserwartung steht das behördliche Streben nach Kosteneinsparung, nach Verwirklichung der ausländer- und asylrechtlichen Verfahrensbeschleunigung einschließlich der Verhinderung der illegalen Einreise sowie der Beendigung eines unrechtmäßigen Aufenthalts gegenüber.

Keineswegs handelt es sich bei Flüchtlingskindern notwendig um Flüchtlinge im rechtlichen Sinne. Der Begriff „Flüchtlingskind“ ist zunächst einmal weit gefasst zu verstehen. Vorliegend wird der Begriff unabhängig davon verwendet, ob ein Kind den Status des Art. 1A der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) oder den Status eines Kriegs- oder Bürgerkriegsflüchtlings innehat. Mit dem Begriff wird lediglich zum Ausdruck gebracht, dass es sich um Minderjährige handelt, die aus Ländern nach Deutschland kommen, in denen ihre Sozialisation von tief greifend negativen politisch-gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen geprägt ist. Wesentlich für den Begriff „unbegleitet“ ist die Trennung des Kindes aus dem familiären Bezugsfeld in der Weise, dass personensorgeberechtigte Personen – in der Regel die Eltern – ihr Sorgerecht aufgrund einer räumlichen Distanz nicht wahrnehmen können. Im Folgenden wird diese Gruppe von Kindern schlicht als „unbegleitete Minderjährige“ bezeichnet.

Die Biographien dieser Minderjährigen, die regelmäßig auf illegalem Weg nach Deutschland gelangt sind, sind geprägt von dem Verlust des heimatlichen familiären Bezugsfeldes, migrationsbedingten Brüchen, enormen kulturellen Unterschieden zwischen dem Heimatland und Deutschland und häufig von Isolation und Elend. Die Ursachen, die dazu führen, dass diese Minderjährigen – regelmäßig im jugendlichen Alter – ihr familiäres Bezugsfeldes verlassen, sind in der praktischen Beobachtung vielschichtig. Zum Teil waren sie in ihrem Herkunftsland aufgrund einer vorherrschenden (Bürger-)Kriegssituation und/oder aufgrund tief greifend negativ politisch-gesellschaftlicher und ökonomischer Bedingungen extremen Gefahren ausgesetzt. Des Weiteren kommen Kinder aus Staaten, in denen prekäre ökonomische Bedingungen vorherrschen, die zwar nicht existenziell gefährdend, aber erheblich entwicklungsbeeinträchtigend sind. Partiell haben sich die Familienstrukturen bereits im Herkunftsland aufgelöst und die Kinder haben eigeninitiativ die Entscheidung zur Emigration getroffen. In den Fällen, in denen sich die Kinder im Herkunftsland noch in der Obhut der Eltern oder naher Angehörigen befanden, ist zum Teil festzustellen, dass diese ihre Kinder nach Westeuropa geschickt haben in der Erwartung, dass sie dort nicht weiterhin unter materieller Not aufwachsen und die Möglichkeit der Bildung/Ausbildung erlangen. In all diesen Fallkonstellationen ist im Regelfall das Kindeswohl in besonderer Weise beeinträchtigt.

Kindeswohl im Recht der Zuwanderung – fehl am Platz?
In dem eingangs skizzierten Spannungsfeld vertritt der Verfasser als Rechtsanwalt im Tätigkeitsbereich des Ausländer- und Asylrechts u. a. unbegleitete Minderjährige. Die Leitmaxime bei der anwaltlichen Vertretung dieser Kinder ist das Kindeswohlinteresse. Die grundlegende Bestimmung des Art. 3 Abs. 1 der UN-Kinderrechtskonvention (KRK) stellt diesen Grundsatz unmissverständlich klar: „In all actions concerning children, (…) the best interests of the child shall be a primary consideration.“ Die Bundesrepublik Deutschland hat sich unterdessen geweigert, diesen völkerrechtlichen Grundsatz auch auf ausländische Kinder Anwendung finden zu lassen. Sie behält sich trotz erheblicher nationaler und internationaler Kritik ausdrücklich vor, die Bedingungen des Aufenthalts ausländischer Kinder in Deutschland jenseits der Kindeswohlmaxime rechtlich zu gestalten (vgl. Peter 2002).

In der Tat ist festzustellen, dass insbesondere auf dem Gebiet des Ausländerrechts das Kindeswohlinteresse keineswegs einen vorrangigen Gesichtspunkt einnimmt, und zwar weder in der deutschen Gesetzgebung noch in der ausführenden Behördenpraxis. Der Begriff des Kindeswohls findet sich im Asylverfahrensgesetz überhaupt nicht. Im Aufenthaltsgesetz, das den rechtlichen Rahmen der Einreise und des Aufenthalts regelt, findet er sich nur ein Mal: In § 32 Abs. 4 AufenthG ist er als Gesichtspunkt für das behördliche Ermessen bei der Gewährung des Familiennachzugs genannt. In den Regelungen über die Aufenthaltsgewährung aus humanitären Gründen (§§ 22 bis 26 AufenthG) sucht man ihn vergeblich – das Kindeswohl ist nicht als humanitäres Abschiebeschutzkriterium gesetzlich fixiert.

In diesem evidenten „Kindeswohldefizit“ kommt der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck, das von ordnungs- und fiskalpolitischen Interessen geprägte Ausländerrecht nicht durch den humanitären Aspekt des Kindeswohls aufzuweichen. Dies hat sich bereits sehr deutlich bei der verschärfenden Novellierung des Asylrechts in den Jahren 1992/93 gezeigt. Als sich seinerzeit übergreifend der parteipolitische Wille abzeichnete, durch die Drittstaatenregelung die Einreisezahlen zu senken sowie durch eine Neuregelung der Unterbringungsstandards den Gesichtspunkt der Abschreckung im Asylrecht zu etablieren, drohte dieses Ziel durch die zeitgleich anstehende Ratifizierung der UN-Kinderrechtskonvention aufgeweicht zu werden. Denn die beabsichtigte und schließlich umgesetzte Novellierung des Asylverfahrensrechts stand nicht im Einklang mit der Kindeswohlmaxime, die die Konvention zum Schutz von Flüchtlingskindern in Art. 3 und 22 KRK normiert.

Um den absehbar drohenden Widerspruch zwischen der nationalen Asylpolitik und dem internationalen Menschenrechtsschutz (scheinbar) zu vermeiden, entschied sich die Bundesrepublik Deutschland schließlich, die Konvention zwar zu ratifizieren, sich dabei aber gleichzeitig vorzubehalten, ihre nationale Gesetzgebung auf den Gebieten der Einreise und des Aufenthalts unberührt von der Konvention auszugestalten (sog. „Ausländervorbehalt“, Abschnitt IV der deutschen Ratifikationserklärung). Im nationalen Ausländerrecht stellen kindesspezifische Menschenrechte eine nachrangige Kategorie dar.

Als konsequent stellt sich demgemäß die in den Folgejahren vertretene Auffassung der damaligen Bundesregierung dar, dass unbegleitete Minderjährige nicht unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls aus der rigiden Drittstaatenregelung herausgenommen werden dürften. Das Asylrecht gehöre nicht zu dem jugendpolitischen, der Wahrung des Kindeswohls dienenden Instrumentarium (Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage im Bundestag zur Gruppe der unbegleiteten Minderjährigen, BT-Drs. 13/1873 vom 25.6.1995).

Forderungen nach der Schaffung eines Sonderflüchtlingsrechts für Kinder, wie sie etwa sukzessive von der Sachverständigenkommission im Zehnten Kinder- und Jugendbericht aufgestellt wurden (BT-Drs. 13/11368, S. 172), wies die damalige Bundesregierung zurück (Stellungnahme der Bundesregierung, BT-Drs. 13/11369, S. XIX (Text-Nr. 43)). Diese Haltung haben die später wechselnden Regierungen bei stetig sinkenden Asylbewerberzahlen bis heute beibehalten. Die nachfolgenden großen Novellierungen des Asylrechts und des Aufenthaltsrechts, insbesondere im Zuge des Zuwanderungsgesetzes in den Jahren 2002/2003, haben den Gesichtspunkt des Kindeswohls weiterhin unbeachtet gelassen. Die mit dem Zuwanderungsgesetz beabsichtigte Steuerung der Zuwanderung folgte der Maxime: „Keine Zuwanderung in die Sozialsysteme“. Hochqualifizierten Einwanderern sollten die Tore Deutschlands geöffnet, die humanitär begründete Aufenthaltsgewährung hingegen weiterhin eng begrenzt werden. Das Kindeswohl ist nicht als humanitäres Abschiebeschutzkriterium gesetzlich festgeschrieben worden.

In der gesetzesausführenden Behördenpraxis ist zudem festzustellen, dass in den Gesetzesbereichen, in denen den Behörden ein Ermessen eingeräumt ist, das Kindeswohl in der Abwägung mit staatlichen Interessen nicht hinreichend gewichtet wird. Ein eindeutiges Signal will der Gesetzgeber insbesondere an die ausländische Familien senden: Die Inanspruchnahme der Leistungsart „Hilfe zur Erziehung außerhalb der eigenen Familie“ ist als besonderer Ausweisungsgrund statuiert (§ 55 Nr. 7 Hs. 1 AufenthG) und begründet damit zugleich einen Regelversagungsgrund bei einem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) sowie einen Grund gegen die Verlängerung einer Aufenthaltsgenehmigung (§ 8 Abs. 1 i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG).

Kindeswohl – ein unbestimmter Rechtsbegriff
Diese zunächst abstrakte Darstellung eines Kindeswohldefizits im deutschen Zuwanderungsrecht erfordert eine inhaltliche Klarstellung des Begriffs „Kindeswohl“. Inwiefern können Kinder in ihrem Wohl – in ihren kindspezifischen Schutzinteressen – durch aufenthaltsrechtliche Vorschriften und Maßnahmen beeinträchtigt werden?

Die Bemühungen, dem Kindeswohlbegriff eine inhaltliche Kontur zu geben, füllen mittlerweile Bände, insbesondere im Zusammenhang mit jüngsten Initiativen, Kinderrechte ausdrücklich im Grundgesetz zu verankern. Das Bundesverfassungsgericht hat unterdessen bereits klargestellt, dass das Kindeswohl als Rechtsgut von Verfassungsrang fungiert: „Das Kind ist ein Wesen mit eigener Menschenwürde und dem eigenen Recht auf Entfaltung seiner Persönlichkeit im Sinne des Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG“ (BVerfGE 24, 119, 144). Dieses Grundrecht schützt zuvörderst den Prozess des Kindes hin zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit. Der grundrechtliche Schutz bezieht sich gewissermaßen auf das „Person-Werden“. Insofern geht es um eine entwicklungsorientierte Konzeption des Persönlichkeitsschutzes – der Reifungs- und Sozialisationsprozess des Kindes ist vor Gefährdungen zu schützen. Nach bisherigem Verständnis verschafft diese grundrechtliche Position dem Kind allerdings kein eigenes Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe, sondern es legitimiert lediglich Eingriffe in die elterliche Erziehungsverantwortung im Rahmen der Ausübung des staatlichen Wächteramtes. Das Grundgesetz legt nämlich den Reifungs- und Sozialisationsprozess des Kindes in die Hände der Eltern (Art. 6 Abs. 2 GG). Versagen die Eltern in ihrer treuhänderischen Verantwortung für das Kindeswohl, so legitimiert dies staatliche Eingriffe in das elterliche Erziehungsrecht. Der Staat hat insofern eine Schutzpflicht zugunsten des Kindes wahrzunehmen.

In Anbetracht der eingangs geschilderten Lebenssituation, in der sich unbegleitete ausländische minderjährige Kinder befinden, ist abstrakt ein schutzpflichtaktivierendes Gefahrenniveau erreicht. Diese Kinder sind regelmäßig Belastungen ausgesetzt, die nicht nur aus prekären Sozialisationsbedingungen in ihrem Herkunftsland resultieren, sondern auch aus den mit ihrem Wechsel in eine fremde Umgebung verbundenen (Anpassungs-)Anforderungen. Die staatliche Gewalt ist deshalb verpflichtet, Schutzmaßnahmen zu Gunsten dieser aus dem familiären Bezugsfeld herausgelösten Kinder zu ergreifen. Die ordnungsrechtlichen Materien des Ausländer- und Asylrechts müssen diesem Befund daher Rechnung tragen. Es besteht insofern ein Reformbedarf. Diesen Reformbedarf umfassend darzustellen, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Es soll im Folgenden lediglich ein bedeutsamer Aspekt als reformbedürftig benannt werden: Die rechtliche Stellung unbegleiteter Minderjähriger im ausländerrechtlichen Verwaltungsverfahren.

Abschaffung der vorgezogenen Verfahrenfähigkeit
Dass unbegleitete Minderjährige zur Wahrung ihrer Rechte anwaltlich vertreten werden, ist der Ausnahmefall. Wenn sie bereits das 16. Lebensjahr vollendet haben, ist häufig noch nicht einmal sichergestellt, dass sie gesetzlich vertreten werden. Da diese Kinder regelmäßig ohne Personenstandsdokumente und ohne Passpapiere einreisen, wird das von ihnen angegebene Alter insbesondere von den Ausländerbehörden geschätzt, zum Teil ohne jede fachliche Grundlage. Sofern ein Lebensjahr von 16 oder 17 Jahren angenommen wird, gelten die betreffenden Minderjährigen sowohl im Verfahren nach dem Aufenthaltsgesetz als auch im Asylverfahren als handlungsfähig.

Es handelt sich hierbei um eine im deutschen Minderjährigenrecht atypische Besonderheit: Die Fähigkeit, rechtlich bedeutsame Handlungen im Verwaltungsverfahren selbst oder durch einen Bevollmächtigten vornehmen zu können, wird als Handlungsfähigkeit bezeichnet. Sie umfasst nicht nur die Befähigung, selbst wirksam Anträge stellen und die dazu notwendigen Erklärungen abgeben zu können (aktive Handlungsfähigkeit), sondern auch die Eignung, Adressat behördlicher Verfahrenshandlungen zu sein (passive Handlungsfähigkeit). Im Verwaltungsverfahrensrecht herrscht an sich der am Minderjährigenschutz orientierte Grundsatz vor, dass natürliche Personen, die nach bürgerlichem Recht geschäftsfähig sind, als handlungsfähig im Verwaltungsverfahren gelten (§ 12 Abs. 1 Satz 1 VwVfG). Die Handlungsfähigkeit knüpft damit grundsätzlich an die Vollendung des 18. Lebensjahres an.

Der Gesetzgeber hat mit § 12 AsylVfG eine bereichsspezifische Ausnahmeregelung getroffen und die Handlungsfähigkeit im Asylverfahren auf das 16. Lebensjahr herabgesetzt. Diese Regelung steht in Parallele zur in § 80 AufenthG normierten Herabsetzung der Handlungsfähigkeit, die für das Verfahren nach dem AufenthG Geltung hat und insbesondere für aufenthaltsrechtliche Maßnahmen Bedeutung erlangt. Die Bestimmung knüpft ebenfalls an die Vollendung des 16. Lebensjahres an. Mit den parallelen Regelungen im Asyl- und Aufenthaltsrecht sind die zuständigen Behörden in die Lage versetzt, asyl- und aufenthaltsrechtliche Entscheidungen gegenüber 16- und 17-jährigen Minderjährigen zügig treffen und vollziehen zu können (vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs zur gesetzgeberischen Intention der Vorläuferbestimmung des § 68 AuslG: BT-Drs. 11/6321, S. 79 f.). Denn im Hinblick auf die passive Handlungsfähigkeit bedarf es zur Wirksamkeit behördlicher Entscheidungen nicht der Einschaltung eines gesetzlichen Vertreters, dessen Bestellung durch das Familien- oder Vormundschaftsgericht einen gewissen Zeitraum in Anspruch nehmen würde.

Die Herabsetzung der Handlungsfähigkeit dient einem staatlichen Interesse und knüpft nicht an die Einsichtsfähigkeit Minderjähriger an. Die aufenthalts- und asylrechtlichen Folgewirkungen dieser „Verfahrensmündigkeit“ sind zum Teil verheerend: Minderjährige stellen aus vollkommener Unwissenheit (und überwiegend nach Beratung durch eine Ausländerbehörde) vielfach Asylanträge, was sich häufig als nicht sachgerecht herausstellt. Bereits das Kindeswohlinteresse erfordert zwar, den Aufenthalt des betreffenden Kindes zumindest vorläufig zu sichern, und mit einem Asylantrag kann etwa eine vorläufige Aufenthaltssicherung durchaus erreicht werden. Die gesetzliche Ausgestaltung des damit eingeleiteten Verfahrens unterliegt aber erheblichen Restriktionen hinsichtlich der Mitwirkungspflichten, der Darlegungslast und des effektiven Rechtsschutzes.

Es ist zweifelhaft, ob das ohne familiäres Bezugsfeld lebende und unbetreute minderjährige Kind, dem die Einsichtsfähigkeit in die Bedeutung des Asylverfahrens fehlt, den weit reichenden Mitwirkungspflichten in der Anhörung (vgl. §§ 25, 15 AsylVfG) genügen kann. Der Amtsermittlungsgrundsatz aus § 24 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist durch die in § 25 Abs. 1, 2 AsylVfG geregelte Darlegungslast begrenzt. Im Hinblick darauf ist der handlungsfähige Minderjährige, der eine politische Verfolgung oder Abschiebungshindernisse geltend macht, gefordert, einen umfassenden Sachvortrag zu leisten, der hinsichtlich der persönlichen Umstände und Erlebnisse in chronologischer Hinsicht sowie im Hinblick auf örtliche und sonstige äußere Zusammenhänge detailliert, vollständig und schlüssig ist. Umstände, die der minderjährige Asylbewerber entgegen dieser Obliegenheit nicht mitteilt, können bei der Entscheidung des Bundesamtes und bei der gerichtlichen Entscheidung unberücksichtigt bleiben (vgl. § 25 Abs. 2, 36 Abs. 4 Satz 2 AsylVfG).

Wird der Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt, weil das Vorbringen des Minderjährigen in der Anhörung in wesentlichen Punkten nicht substantiiert oder widersprüchlich ist (§ 30 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG), verbleibt eine Rechtsmittelfrist von einer Woche. Wird die Ablehnung rechtskräftig, wird dem Minderjährigen nach Abschluss des Asylverfahrens wegen der qualifizierten Ablehnung des Asylantrags im Regelfall ein Aufenthaltstitel versagt werden (vgl. § 10 Abs. 3 Satz 2 AufenthG).

Unbegleitete Minderjährige werden zum bloßen Objekt des Verfahrens. In der Praxis werden in diesem Verfahren aufenthaltsrechtliche Schutzaspekte, die das Kindeswohl betreffen, regelmäßig nicht ermittelt. Diese Kinder verstehen dieses Verfahren überhaupt nicht und sie können – auch im Hinblick auf ihre Artikulationsdefizite – nicht ihrer Darlegungslast als Asylantragsteller genügen. Dies hat zum Teil fatale Folgen für ihr weiteres aufenthaltsrechtliches Schicksal. Mit der sich an das Verfahren ggf. anschließenden Abschiebung etwa in einen Drittstaat setzt sich die Odyssee des Minderjährigen fort, ohne dass die physische und psychische Verfassung des Kindes in einem dafür sachgerechten Verfahren festgestellt worden ist.

Dieser Befund würde weniger drastisch ausfallen, wenn die Jugendhilfe ihre gesetzlich normierte Primärzuständigkeit auch für diese Kindesgruppe wahrnehmen würde. Der Bundesgesetzgeber hat zwar im Oktober 2005 mit der Neuregelung des § 42 SGB VIII die unbegleitete Einreise ausländischer Minderjähriger als eigenständigen Inobhutnahmegrund normiert und damit eine am Kindeswohl orientierte Erstversorgung dieser Kindesgruppe beabsichtigt. Insbesondere sollte damit ein „Clearingverfahren“ etabliert werden, in dem die individuelle Situation des Kindes recherchiert und sachgerechte Folgemaßnahmen getroffen werden. Es hat sich jedoch in der Praxis gezeigt, dass diese Regelung nicht effektiv in den Ländern und Kommunen umsetzt wird (siehe dazu ausführlich: Peter, 2006). Überdies ändert die befristete Inobhutnahme nichts an der verfahrensrechtlichen Stellung der Kinder im Asylverfahren.

Die Auffassung, das Asylrecht gehöre nicht zu dem der Wahrung des Kindeswohls dienenden Instrumentariums, ist nicht haltbar. Die dem Kindeswohl verfassungsrechtlich geschuldete staatliche Schutzpflicht erfasst auch diese Materie. Daher ist die Herabsetzung der Verfahrensfähigkeit auf das 16. Lebensjahr im Asylverfahren und im aufenthaltsrechtlichen Verfahren durch eine Streichung des § 12 AsylVfG und der parallelen Regelung des § 80 AufenthG aufzuheben.

Die Literaturangaben sind über die Geschäftsstelle erhältlich.

Dr. Erich Peterist Rechtsanwalt in Bremen.

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