fK 5/05 Peschel-Gutzeit

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Die Erziehung des Kindes zu einem selbstbestimmungs- und gemeinschaftsfähigen Staatsbürger

Bei der Pflege und Erziehung berücksichtigen die Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln. Sie besprechen mit dem Kind, soweit es nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, Fragen der elterlichen Sorge und streben Einvernehmen an (§ 1626 Absatz 2 BGB)

von Lore Maria Peschel-Gutzeit

„Solange Du Deine Beine unter unseren Tisch steckst, bestimmen wir!“ Was Generationen von Eltern selbstverständlich erschien, ist seit rund 25 Jahren per Gesetz verboten. Als am 1.1.1980 das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge (Sorgerechtsgesetz) in Kraft trat, wurde auch § 1626 Absatz 2 neu in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt. Dies kam einer familienrechtlichen Revolution gleich. Nicht mehr die Herrschaft über das Kind, sondern die Heranbildung einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit und die altersgemäße Beteiligung an Entscheidungen sind seitdem rechtlich normierte Leitbilder der Erziehung durch die Eltern. Im folgenden dokumentieren wir Auszüge der Kommentierung von § 1626 Absatz 2 BGB durch Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit im J. von Staudinger Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch.

Inhalt der elterlichen Sorge

Inhalt, Funktion und Intensität des elterlichen Sorgerechts sind durch deren Erziehungsziele, aber auch durch die Schutzbedürftigkeit des Kindes und seine Persönlichkeitsrechte gebunden. Je nach Lebensalter und individueller Entwicklung des Kindes zur Reife verändern sich Bindungen und Konkretisierungen der Elternsorge fortgesetzt. Das Ausmaß der elterlichen Sorge ist von der Geburt des Kindes bis zu seiner Volljährigkeit nicht unverändert, sondern wandelt sich nach Grad und Wirkungsbereich und hat bisweilen ganz zurückzutreten.

Der durch das Sorgerechtsgesetz eingeführte Absatz 2 ist eine Grundsatznorm des neuen Sorgerechts. Er enthält ein Leitbild elterlicher Erziehung, formuliert im Lichte des verfassungsrechtlichen Erziehungsziels des selbstbestimmungs- und gemeinschaftsfähigen Staatsbürgers. Das bedingt ein Erziehungsverhalten der Eltern, das auf die Heranbildung einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit des Kindes zielt. Die im Gesetzgebungsverfahren zum Sorgerechtsgesetz umstrittene Vorschrift nimmt die sich wandelnde Intensität der elterlichen Rechte und Pflichten in sich auf und zeichnet die Entwicklung der elterlichen Gewalt zur partnerschaftlichen Erziehung der elterlichen Sorge aus heutiger Sicht nach. Dabei kommt dem Kind keine aktive Rolle zu, die Eltern haben aber – entsprechend dem Grundsatz der, ebenfalls durch das Sorgerechtsgesetz eingefügten, Vorschrift des § 1618 a BGB ‑ auf das zur Selbständigkeit strebende Kind Rücksicht zu nehmen.

Damit verdeutlicht Absatz 2 die Pflichtbindung der elterlichen Sorge und des verfassungsrechtlich geschützten Elternrechts in Bezug auf die eigenen Grundrechte des Kindes insbesondere aus Art 1 und 2 Grundgesetz. So zurückhaltend das Sorgerechtsgesetz bei der Einräumung kindlicher Selbstbestimmungsrechte verfahren ist, so sehr ist doch die Ausübung elterlicher Sorge und Erziehung gebunden an die Pflicht, auf die Persönlichkeit des Kindes die nötige Rücksicht zu nehmen, etwa bei der Einräumung und dem Gewährenlassen bei Eigenentscheidungen.

Geltungsbereich

Absatz 2 enthält zwei unterschiedliche Regelungen: Nach Satz 1 berücksichtigen die Eltern bei der Pflege und Erziehung die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem, verantwortungsbewusstem Handeln. Diese Regelung gilt nach ihrem Wortlaut nur für die Personensorge („Pflege und Erziehung“) und konkretisiert damit die in § 1631 Absatz 1 BGB geregelten Rechte und Pflichten aus der Personensorge. Nach Satz 2 besprechen die Eltern mit dem Kind Fragen der elterlichen Sorge und streben Einvernehmen mit dem Kinde an. Da diese Fassung eine Einschränkung der betroffenen Angelegenheiten nicht enthält, gilt Absatz 2 Satz 2 für alle Bereiche der elterlichen Sorge.

Soweit es Pflege und Erziehung angeht, gelten also Satz 1 und Satz 2 gemeinsam mit der Folge, dass Eltern bei Angelegenheiten der Personensorge die in Satz 1 normierte Rücksicht auf die wachsende Selbstbestimmungsfähigkeit nehmen, mit dem Kinde sprechen und Einvernehmen mit ihm anstreben. Bei den von Pflege und Erziehung nicht berührten Bereichen, also vor allem bei der Vermögenssorge, müssten nach dem Wortlaut von Satz 2 dagegen die Eltern die in Satz 1 geregelte Rücksicht auf das eigenverantwortliche Handeln des Kindes nicht nehmen. Das ist indessen nicht Sinn der gesetzlichen Neuregelung. Satz 2 soll verdeutlichen, dass es auf den jeweiligen Entwicklungsstand des Kindes ankommt, ihm soll, im Interesse seiner Reifung zu einer selbständigen, eigenverantwortlichen Persönlichkeit, verdeutlicht werden, warum die Eltern welche Entscheidung anstreben, das Einvernehmen zwischen Kind und Eltern soll zum bewussten und gewollten Mitwirken des Kindes führen. Eine solche Ausübung der elterlichen Sorge bedeutet Rücksichtnahme auf wachsende Fähigkeit und wachsendes Bedürfnis des Kindes zu eigenverantwortlichem Handeln im Sinn von Satz 1. Auch der Grundsatz des Satzes 1 gilt deshalb für die gesamte elterliche Sorge.

Verfassungsmäßigkeit

Bisweilen wird die Ansicht vertreten, Absatz 2 enthalte ein gesetzlich festgelegtes Erziehungsziel und bestimme einen konkreten Erziehungsstil, nämlich den der partnerschaftlichen Erziehung. Gegen die Festlegung eines Erziehungsstils werden verfassungsrechtliche Bedenken erhoben, ebenso gegen die Festlegung eines Erziehungsziels. Andererseits wird die Regelung des Absatzes 2 als pädagogisch wünschenswertes Anliegen qualifiziert bzw. die Festlegung von Erziehungszielen geradezu gefordert.

Die verfassungsrechtlichen Einwände sind insoweit begründet, als nach der Wertordnung des Grundgesetzes eine staatlich gelenkte Erziehung unzulässig ist. Die Schlussfolgerung indessen, inhaltliche Erziehungswerte und Erziehungsziele seien im Grundgesetz nicht vorgegeben und könnten daher auch nicht aus ihm abgeleitet werden, lässt unberücksichtigt, dass das Grundgesetz verbindliche Grundwerte für das gesamte Gemeinwesen enthält, die zur Ausführung und Ausfüllung hier der Rechte und Pflichten von Eltern und Kindern herangezogen werden müssen: Grundrechte als objektive Wertordnung, als Wertsystem, das auf das bürgerliche Recht in allen Teilen einwirkt. Vorschriften der Verfassung (und ihr folgend des einfachen Rechts, § 1626), die Eltern Rechte bezüglich der Kinder einräumen, müssen mithin gewährleisten, dass bei der Ausübung des Erziehungsrechts der Eltern Rechte und Persönlichkeit des Kindes in angemessener Weise geschützt und respektiert werden. Dieser Grundkonzeption des Grundgesetzes entspricht § 1626 Absatz 2, insoweit enthält diese Norm ein inhaltlich formuliertes und nicht nur ein formales Erziehungsziel.

Die Erziehung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit stimmt mit dem in Artikel 1, 2 Grundgesetz entworfenen Menschenbild des Grundgesetzes überein. Dieses Menschenbild postuliert das selbstbestimmungsfähige, selbstverantwortliche und gemeinschaftsfähige Individuum, ist im übrigen aber wertoffen. Rechtsverbindlichkeit inhaltlicher Erziehungsziele, die über dieses Menschenbild hinausgehen, darf das Gesetz nicht vorgeben. Das ist aber auch nicht geschehen. Denn das in § 1626 Absatz 2 BGB enthaltene Erziehungsziel entspricht diesem Menschenbild, das allgemein anerkannt ist. Damit stimmen die wachsende Berücksichtigung von Eigenverantwortlichkeit und Selbstbestimmungsrecht des Kindes sowie die Pflicht, mit dem Kind wichtige Fragen zu erörtern und Einvernehmen anzustreben, überein. Wer solche Erziehungspflicht als Eingriff in das Elternrecht ansieht, missversteht jenes Recht als Herrschaftsrecht gegenüber dem Kind, das jede Erörterung mit dem Kind überflüssig werden lässt. Das Elternrecht auf Erziehung, Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz, ist aber kein Recht zur Beschneidung des Mitwirkungsrechts des Kindes an Erziehungsprozessen, die Eltern haben aus Artikel 6 Absatz 2 Satz 1 nicht das Recht, ihr Kind nicht zu einem selbstbestimmungsfähigen und verantwortungsbewussten, gemeinschaftsfähigen Menschen zu erziehen. Das Menschenbild des Grundgesetzes fordert eine derartige, Teilhabe gewährende Erziehung und verbietet sie nicht. Die grundgesetzlich geschützten Werte von Freiheit und Demokratie lassen sich nicht besser und nicht eher als in der familiären Erziehung erlernen und einüben.

Auch die Einwände gegen den angeblich in verfassungswidriger Weise im Gesetz niedergelegten Erziehungsstil,: nur das ,,Ob“, nicht das ,,Wie“ der Erziehung dürfe gesetzlich geregelt werden, gehen fehl. Diese Kritik lässt außer acht, dass das Sorgerechtsgesetz nur normiert hat, was schon vor seinem Inkrafttreten höchstrichterlich als formales Erziehungsziel und damit auch zugleich als Erziehungsstil anerkannt war: das Heranführen zu eigenverantwortlichem Handeln des Kindes als Ziel elterlicher Erziehung. Dieser von der Rechtsprechung auch im übrigen anerkannte Grundsatz berücksichtigt, dass junge Menschen mit Vollendung des 18. Lebensjahres uneingeschränkt geschäftsfähig und deliktsfähig sind, was wiederum voraussetzt, dass sie die dafür nötigen Eigenschaften zuvor lernen konnten, also durch Erziehung vermittelt erhielten.

Soweit beanstandet wird, der in § 1626 Absatz 2 Satz 2 geforderte Erziehungsstil überfordere die Durchschnittseltern, die Vorschrift sei schichtenspezifisch einseitig orientiert (,,Intellektuellenparagraph“) bzw. in deutlichem Maße an Mittel- und Oberschicht orientiert, sie atme den Zeitgeist der Siebzigerjahre und friere ihn normativ ein, wird das Erziehungsverhalten von Eltern unterschätzt. Ausgangspunkt dieser Annahme ist die Unwandelbarkeit des Erziehungsverhaltens von Eltern, jeweils bezogen auf die Erziehung, die sie selbst erhalten haben. Zugleich wird einer erhaltenswerten Irrationalität das Wort geredet, wenn hervorgehoben wird, die Familie sei kein Parlament und keine Mikrodemokratie, Erziehung sei nicht nur eine Sache des Verstandes, § 1626 Absatz 2 sei utopischer Rationalismus. Wer elterliches Erziehungsverhalten auch für die zukünftigen Generationen von Eltern so einschätzt und zudem als verfassungsrechtlich garantiert betrachtet, lässt die Möglichkeit von Wandel von vornherein außer Betracht. Kritikfähigkeit, Selbstbewusstsein und Selbständigkeit haben aber bei vielen jüngeren Menschen Verhaltensweisen, die ihnen noch anerzogen waren, wie Unterordnung, Gehorsam und Abhängigkeit, verdrängt. Erziehungsziele junger Eltern sind nach den Untersuchungen von Stein (Selbstbild und Erziehungsverständnis junger Paare, 1983) Beschäftigung mit dem Kind, Eingehen auf das Kind, Verständnis, Geduld, nicht dagegen Autoritäts- und Disziplinierungsaspekte, so dass langfristig die Hoffnung besteht, dass auch die jungen Eltern, die noch einer entgegengesetzten eigenen Erziehung verhaftet sind, schließlich bei der Erziehung eigener Kinder dem Erziehungsleitbild des § 1626 Absatz 2 entsprechen werden.

Insgesamt ist die Vorschrift des § 1626 Absatz 2 mithin verfassungsgemäß. Sie beschreibt das verfassungsrechtlich gebotene Erziehungsziel, lässt aber alle Wege, wie die Eltern dieses Ziel erreichen, offen, wenn diese Wege zur Erreichung dieses Zieles nur geeignet sind. Art und Weise der derart ausgerichteten elterlichen Erziehung wird vom Grundgesetze hingenommen und hält sich damit zugleich im Rahmen von § 1626 Absatz 2, wenn sie die Wertsetzung der Grundrechte verfolgt und in diesem Rahmen nicht evident verfehlt. Mit dem Menschenbild des Grundgesetzes gibt die Verfassung einen Rahmen vor, der eine Vielzahl untergeordneter Erziehungsziele umfasst und der Erziehungsmethode der Eltern überlässt.

Einzelerläuterungen

Absatz 2 Satz 1: Die vom Gesetz geforderte Rücksicht der Eltern auf wachsende Fähigkeit und wachsendes Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln meint, dass die Eltern diese Bedürfnisse und Fähigkeiten des Kindes sehen und anerkennen sowie die eigene Verantwortung und die des Kindes abwägen. Bei der Pflege und Erziehung des Kindes sollen die Eltern diese Fähigkeiten und Bedürfnisse fördern und ihnen Rechnung tragen. Allgemeine Mitentscheidungsrechte des Kindes enthält der gesamte Absatz 2 nicht, sondern schreibt den Eltern eine partnerschaftliche Erziehung vor. Dabei ist vor allem zu bedenken, dass dem Kind mit fortschreitendem Alter vom Gesetz gewisse Zuständigkeiten zugestanden werden, die es nur mit entsprechender Erziehung zur Eigenverantwortung ausfüllen kann: So soll die Erziehung das Kind in die Lage versetzen, ab vollendetem siebtem Lebensjahr in bestimmter Weise mit Geld umzugehen (§§ 106, 107 BGB). Gleichzeitig, spätestens ab vollendetem 14. Lebensjahr ist das Kind unter Umständen für Schäden, die es anderen zufügt, verantwortlich, es sei denn, es hätte die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht nicht (§ 828 Absatz 2 BGB). Die mit sieben Jahren einsetzende Deliktsfähigkeit, (§ 828 Absatz 1 BGB), und die mit Vollendung des 14. Lebensjahres beginnende Strafmündigkeit (§§ 1, 3 Jugendgerichtsgesetz), machen deutlich, dass das Recht generell von wachsenden Fähigkeiten des reifenden Kindes ausgeht. Diesen Erfordernissen muss die Erziehung Rechnung tragen, und zwar in einer der wachsenden Einsichts- und Teilnahmefähigkeit des Kindes Raum gewährenden Weise.

Berücksichtigung besagt ebenso wie Rücksichtnahme nichts über das Ergebnis. Die Berücksichtigung der Meinung des Kindes ist Ausfluss verantwortlichen elterlichen Handelns, die Entscheidung verbleibt letztverantwortlich aber den Eltern.

Entscheidend ist, dass die Eltern unter der Geltung des Absatzes 2 Satz 1 nicht mehr über den Kopf des Kindes hinweg entscheiden dürfen, sondern das Kind an dem Herausfinden geeigneter Pflege- und Erziehungsmaßnahmen beteiligen müssen. Dabei ist entscheidend, ob das Kind im Einzelfall selbständig und verantwortungsbewusst handeln kann und will. Dies setzt einerseits Unterrichtung des Kindes von der zu lösenden Frage und der in Aussicht genommenen Maßnahme, andererseits selbstverständlich die Beurteilungsfähigkeit des Kindes voraus. Haben die Eltern das Kind entsprechend unterrichtet, reichen Beurteilungsfähigkeit und Einsichtsfähigkeit des Kindes, aber auch sein Verantwortungsbewusstsein aus, so sind die Eltern verpflichtet, dem Bedürfnis des Kindes nach selbständiger Mitwirkung zu entsprechen und eigene Erziehungsvorstellungen, die dem widersprechen, zurückzustellen. Denn einen nur auf Gehorsam und Unterwerfung ausgerichteten, autoritären Erziehungsstil akzeptiert das Gesetz nicht mehr.

Absatz 2 Satz 2: Absatz 2 Satz 2 auferlegt den Eltern, Fragen der elterlichen Sorge mit dem Kind zu besprechen und mit ihm Einvernehmen anzustreben. Die Vorschrift gebietet also Gesprächsbereitschaft einerseits, das Bemühen um Einvernehmen mit dem Kind andererseits. Auch hierin wird die gesetzgeberische Vorstellung partnerschaftlicher Erziehung deutlich: Die von ihnen ins Auge gefassten Erziehungsmaßnahmen dürfen die Eltern dem Kind nicht, quasi wortlos, aufzwingen, sondern sie müssen diese mit dem Kind erörtern mit dem Ziel, Verständnis und Einsicht des Kindes zu wecken. Dem Kinde soll verdeutlicht werden, „warum die Eltern welche Entscheidung anstreben. Nach Möglichkeit soll das Einvernehmen zum bewussten und gewollten Mitwirken gewonnen werden“ (Bundestags-Drucksache 7/2788, 44 ff). Damit sind weder langwierige Diskussionen zu Fragenbereichen gemeint, zu denen das Kind sinnvoll noch nicht beitragen kann, noch wird diese grundsätzliche Erörterungspflicht in Not- und Eilfällen gefordert (freilich bedeutet sie, dass dem Kinde die Maßnahmen nachträglich erklärt werden). Soweit eingewendet wird, damit werde ein Verhalten gefordert, das unpraktikabel und überfordernd sei, wird übersehen, dass das Gesetz von den Eltern keine Kommunikation fordert, die diese bildungsmäßig nicht leisten können. In allen Schichten der Bevölkerung kommunizieren die Familienmitglieder miteinander. Die Forderung des § 1626 Absatz 2 geht nicht dahin, diese Art der Kommunikation zu verbessern, also einem höheren Bildungsniveau anzupassen, sondern sie so zu verändern, dass das Kind selbstverständlich in Aussprache, Verständigung und Beschlussfassung einbezogen wird, entsprechend seinem Entwicklungsstand unter grundsätzlicher Achtung seiner Persönlichkeit. Diesen Prozess können „Unterschicht-Eltern“ ebenso leisten wie „Mittelschicht-Eltern“; diese Fähigkeit zu leugnen, liefe auf ein diskriminierendes Vorurteil hinaus.

Voraussetzung für diese Beteiligung des Kindes ist, dass sein Entwicklungsstand sie angezeigt erscheinen lässt. Entwicklungsstand und Einsichtsfähigkeit korrelieren miteinander. Das Kind muss zur Mitwirkung fähig und bereit sein, es darf einerseits nicht überfordert und auf diese Weise verunsichert werden, andererseits muss es seine Mitverantwortung wahrnehmen und anerkennen und darf nicht aus Bequemlichkeit den Eltern die Entscheidung überlassen, für die es hinreichend einsichtsfähig ist.

Das anzustrebende Einvernehmen bedeutet tatsächliche Übereinstimmung oder Zurückstellen der eigenen Meinung und Nachgeben gegenüber der anderen, aber keinen Vertrag, keine Bindung, allein faktische Vertrauenstatbestände können entstehen.

Verweigert das Kind die Mitwirkung oder kommt sonst kein Einvernehmen zustande, so entscheiden die Eltern allein. Dies bedeutet zugleich, dass die Eltern ihre Erziehungsverantwortung wahrnehmen müssen und nicht etwa im Zuge antiautoritärer Erziehung dem Kind alles das gestatten dürfen, was es wünscht, sei es auch zu seinem Schaden. Auch haben Eltern eine einverständliche Lösung zu ändern, wenn das Kindeswohl dies erfordert. Eine besondere Ausprägung des in Absatz 2 zum Ausdruck kommenden Erziehungsverständnisses findet sich in der Verpflichtung der Eltern, in Angelegenheiten von Ausbildung und Beruf auf Eignung und Neigung des Kindes Rücksicht zu nehmen (§ 1631 a BGB).

Auszugsweiser Abdruck mit freundlichen Genehmigung des Verlags Walter de Gruyter GmbH & Co. KG in Berlin.

Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit ist Senatorin für Justiz a.D. und Rechtsanwältin in Berlin.

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