fK 4/10 Stiebel

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

„Die Sozialisation der Pflegekinder in der Pflegefamilie sollte als sozialer, psychologischer und juristischer Tatbestand anerkannt werden“

Dr. Jörg Maywald im Gespräch mit Dr. Ulrich Stiebel, Unternehmer sowie Gründer und Vorsitzender der „Stiftung zum Wohl des Pflegekindes“ in Holzminden

Maywald: Was hat Sie dazu bewegt, einen beträchtlichen Teil Ihres Vermögens in eine Stiftung einzubringen, die sich für die Verbesserung der Situation von Pflegekindern einsetzt?

Stiebel: Das Motiv für die Gründung der Stiftung war, einen Teil meines Vermögens und Einkommens für gesellschaftliche Belange einzusetzen, die ich direkt beeinflussen kann. Die Situation von Pflegekindern und Pflegeeltern bedarf meines Erachtens der besonderen Unterstützung

Maywald: Welche Ziele verfolgt die Stiftung und inwieweit haben sich diese Ziele im Lauf der Jahre gewandelt oder ausgeweitet?

Stiebel: Unser Ziel ist es, die Lebenssituation von Pflegekindern zu verbessern und das öffentliche Interesse für Pflegekinder und ihre besondere Situation zu wecken. Wir versuchen, dies großenteils in Zusammenarbeit mit anderen Trägern durch Veranstaltung von Seminaren und Tagungen und durch Publikationen zu erreichen, aber auch über die Ansprache von politischen Stellen. Den letzteren Ansatz möchten wir in Zukunft stärker verfolgen.

Maywald: Im Zusammenhang mit Ihrem Engagement als Stifter sind Sie mit zahlreichen Pflegekindern und Pflegeeltern zusammengekommen. Was hat Sie bei diesen Begegnungen in besonderer Weise beeindruckt?

Stiebel: Das persönliche Engagement der Pflegeeltern für ihre Pflegekinder, die menschliche Zuwendung und der Einsatz auf behördlicher und gerichtlicher Ebene. Wir möchten diesen Menschen in oft sehr schwierigen Lebenssituationen helfen. Besonders beeindruckt mich dabei die Solidarität vieler Menschen, die als große Gemeinschaft dem übergeordneten Ziel dienen, Pflegekindern zu helfen.

Maywald: Die „Stiftung zum Wohl des Pflegekindes“ ist sowohl fördernd als auch operativ tätig, unter anderem dadurch, dass sie den „Tag des Kindeswohls“ veranstaltet und bundesweit Seminarveranstaltungen anbietet. Operative Aktivität erfordert vielfältige Detailentscheidungen, die sich zum Beispiel aus dem Unterhalt einer Geschäftsstelle ergeben. Was waren die Gründe dafür, die Stiftung operativ anzulegen und sich nicht nur auf Förderung zu beschränken?

Stiebel: Bei Förderungen ist oft der Nutzen nicht sofort gegeben oder zu erkennen. Häufig wird er nur indirekt wirksam. Operative Aktivität wirkt dagegen unmittelbar und vor allem zeitnah. Damit ist auch der Dialog mit den Beteiligten gegeben. Wir möchten neben Pflegeeltern auch die entsprechenden Vereine und Verbände sowie Familienrichter und Rechtsanwälte erreichen.

Maywald: Wenn Sie mit anderen Unternehmern oder Unternehmerinnen zusammenkommen, auf welche Reaktionen stoßen Sie, wenn Sie über Ihr Engagement zugunsten von Pflegekindern berichten?

Stiebel: Diese Situation tritt selten ein. Ich bin bisher nur einem Unternehmer begegnet, der sich für das Thema „Pflegekinder“ interessierte, weil seine Frau und er selbst ein Pflegekind hatten. Ich „berichte“ in Unternehmerkreisen nicht über das Thema, halte mein Engagement bewusst aus wirtschaftlichem, unternehmerischem Umfeld heraus, weil die Themen nicht zusammengehören. Ich erwarte auch keine Zustimmung, da die persönlichen Interessenlagen von Unternehmern doch sehr unterschiedlich sind, ebenso die finanziellen Randbedingungen.

Maywald: Um positive Wirkungen entfalten zu können, sind Stiftungen auf unterstützende politische und steuerrechtliche Rahmenbedingungen angewiesen. Besteht Ihrer Ansicht nach hier Nachholbedarf in Deutschland?

Stiebel: Mit knapper werdenden Mitteln der öffentlichen Hand wächst die Bedeutung von Eigeninitiativen. Dem hat das Stiftungs- und Steuerrecht in den letzten Jahren Rechnung getragen. Ich möchte hier eher lobende Worte für die Politik finden. Wir kommen mit der Ist-Situation zurecht.

Maywald: Die Tätigkeit einer Stiftung entfaltet Wirkungen nicht nur nach außen, sondern hat auch Einfluss auf die interne Unternehmenskommunikation. Inwieweit identifizieren sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Firma STIEBEL ELTRON GmbH & Co. KG mit den Stiftungszielen und wie gestalten Sie diesbezüglich die interne Kommunikation?

Stiebel: Die Existenz der Stiftung ist wahrscheinlich vielen unserer Mitarbeiter nicht einmal bekannt, obwohl wir in einer Kleinstadt leben. Ich „gestalte“ diesbezüglich keine Kommunikation. Das Unternehmen und seine Mitarbeiter sind der finanzielle Hintergrund, der die Stiftung ermöglicht. Ein Stifter hat aber das Stiftungskapital auf eine Stiftung übertragen und ist danach nur eingeschränkt damit befasst. Meine Frau und ich bilden bis auf weiteres den Vorstand der Stiftung, das maßgebliche Gremium ist das Kuratorium, das sich aus kompetenten Persönlichkeiten zusammensetzt und laut Satzung die Geschicke der Stiftung auf Dauer wahrnimmt.

Maywald: Mit der Fokussierung auf Pflegekinder hat Ihre Stiftung in Deutschland ein gewisses Alleinstellungsmerkmal erreicht. Freuen Sie sich über diese Position oder wünschen Sie sich, dass auch andere Stiftungen sich des Anliegens annehmen?

Stiebel: Natürlich wünschen wir uns weitere Mitstreiter, aber die „ideologischen“ Einstellungen vieler Menschen oder Gruppen sind oft sehr differenziert, obwohl sie vermeintlich dasselbe Ziel verfolgen. Hier gibt es oft Konflikte, die leider das gemeinsame Anliegen aus den Augen verlieren lassen, wie ein Blick auf die heterogenen Positionen zeigt. Wir haben aber viele Verbündete, mit denen wir in eine Richtung gehen.

Maywald: Aufgrund Ihrer vielfältigen Beschäftigung mit Pflegekindern und deren Familien haben Sie sich einen gewissen Überblick in diesem Themenfeld verschaffen können. Welche politischen und fachlichen Entwicklungen halten Sie in den kommenden Jahren für wichtig, um die Situation von Pflegekindern zu verbessern?

Stiebel: Es ist wichtig, dass die Anerkennung von Pflegeeltern und die Wahrnehmung von Pflegekindern wächst, damit letztere am gesellschaftlichen Leben in vollem Umfang teilhaben können, ohne durch ihre besondere Situation benachteiligt zu sein. Die Sozialisation der Pflegekinder in der Pflegefamilie sollte als sozialer, psychologischer und juristischer Tatbestand anerkannt werden. Kontinuitätssicherung, etwa durch Verbleibensanordnungen, Adoptionen, aber auch soweit verantwortbar durch Rückführungen und Umgangskontakte sollten mit mehr Einfühlungsvermögen und Würdigung der Kindesinteressen gehandhabt werden.

Maywald: Wenn Sie die vergangenen 18 Jahre als Stifter einmal Revue passieren lassen, inwieweit hat dieses Engagement Sie persönlich und in Ihrer Rolle als Unternehmer bereichert?

Stiebel: Mich hat bereichert, in einer gesellschaftlich wichtigen Aufgabe Nutzen gestiftet zu haben, der Menschen, insbesondere hoffentlich Kinder erreicht hat. Menschen, die nicht das Glück hatten, in eine vorteilhafte Umgebung hinein geboren zu sein, für Lebensbedingungen kämpfen müssen, die eigentlich selbstverständlich sind. Wir benötigen den zeitlichen und finanziellen Rahmen, um unser Anliegen nachhaltig verfolgen zu können. Dies unterscheidet sich von der gewohnten wirtschaftlichen Aktivität völlig und stellt damit für mich eine große Herausforderung dar, indem es verstanden und vorangebracht werden muss. Die Auseinandersetzung mit diesem Thema und die Kommunikation mit den beteiligten Menschen ermöglicht den Blick in einen Lebensbereich, der den Wirtschaftstreibenden im Allgemeinen wenig vertraut ist.

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