fK 3/08 Hauf

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Lernen im Dialog

Wie Babys im Austausch mit ihren Bezugspersonen die Welt verstehen lernen

von Petra Hauf

Babys lernen täglich im Austausch mit den Eltern, den Geschwistern und mit anderen Menschen in ihrer Umgebung. Aber wie lernen Babys von anderen? Sie lernen viel über Handlungen, indem sie andere beobachten. Außerdem entwickeln sie ihre eigenen Fähigkeiten weiter, indem sie selbst handeln und Neues ausprobieren. Eine weitere wichtige Form des Lernens ist das Nachmachen anderer, das so genannte Imitieren. Auf diese Form des Lernens im Austausch mit anderen soll im folgenden Beitrag ausführlicher eingegangen werden.

Die Fähigkeit etwas zu imitieren, erscheint uns auf den ersten Blick eher komisch oder niedlich, aber nicht besonders bedeutungsvoll. Wenn man allerdings kurz darüber nachdenkt, wird deutlich, welche wichtige Rolle das Lernen durch Nachahmung für die Entwicklung unserer Babys spielt. In den ersten Lebensjahren strömt eine unvorstellbare Menge an Informationen auf Babys und Kleinkinder ein. All dieses Wissen können sie nur dadurch erfassen, dass sie ihre angeborenen Fähigkeiten mit ihrer hohen Lernfähigkeit kombinieren und darüber hinaus aufmerksam verfolgen, was wir Erwachsenen so alles machen. Durch gezieltes Nachahmen lernen sie schnell, was sie bei anderen beobachtet haben, ohne alles erst selbst durch Ausprobieren erlernen zu müssen. Allerdings ist das Lernen durch Nachahmung gar nicht so einfach, wie es erscheinen mag. Es reicht nämlich nicht, dass die Babys die Handlung verstehen, sondern sie müssen auch das Gesehene in eigene Handlung umsetzen. Ab wann also lernen Babys, Informationen aus beobachteten Handlungen für ihre eigenen Handlungen zu nutzen? Und wie beeinflusst sie dabei das Wissen um das Ziel der Handlung einer anderen Person?

Mund auf, Zunge raus – das kann ich auch!
Babys schauen Gesichter besonders gerne an. Sie beobachten genau jede Regung im Gesicht, z. B. wie sich der Gesichtsausdruck verändert, wenn jemand lächelt oder konzentriert schaut, und erinnern sich sehr gut an die verschiedenen Gesichtsausdrücke der nächsten Menschen um sie herum. Forschungsstudien haben zeigen können, dass bereits Neugeborene bestimmte Gesten, wie das Zunge herausstrecken oder das Lippen spitzen, imitieren können (Meltzoff & Moore, 1983). Auch wenn das Zunge herausstrecken nicht eine überragend bedeutungsvolle Handlung ist, so erfüllt diese frühe Imitation doch eine wichtige Funktion für die Babys. Sie ermöglicht einen ersten sozialen Austausch und vertieft die Bindung zwischen dem Baby und seinen Eltern. Genau wie die Babys ihre Eltern nachmachen, spiegeln nämlich auch die Eltern häufig das Verhalten ihrer Babys. Mit dieser frühen Form der Imitation trainiert das Baby, seine eigenen Handlungen mit den beobachteten Handlungen anderer abzugleichen. Dadurch lernen die Babys aber nicht nur die Wahrnehmung und die motorische Ausführung von Handlungen immer besser aufeinander abzustimmen. Sie lernen auch das Grundmuster jeder menschlichen Kommunikation. Durch abwechselndes Aufeinander-Eingehen sammeln sie wichtige Erfahrungen für ihre weitere Entwicklung.

Vormachen und Nachmachen: Lernen durch Imitation
Um effektiv lernen zu können, muss ein Baby die Handlung anderer genau beobachten, die notwendigen Einzelschritte behalten, alles auf die eigene Handlung übertragen und muss natürlich die Handlung dann auch noch selbst ausführen. Keine kleine Aufgabe für unsere Babys. Aber ab wann genau zeigen Babys dieses so genannte Imitationsverhalten?

Rachel Barr, Anne Dowden und Harlene Hayne (1996) haben diese Frage mit ihrer Handschuh-Aufgabe untersucht. Sie zeigten Babys verschiedenen Alters (6, 12, 18 und 24 Monate alt) die folgenden Handlungen mit einer Handpuppe: Zuerst wurde der Puppe ein Handschuh ausgezogen, dann wurde der Handschuh dreimal geschüttelt, wodurch ein kleines Glöckchen im Inneren des Handschuhs klingelte, und zum Abschluss wurde der Puppe der Handschuh wieder angezogen. Genau 24 Stunden später besuchten die Forscherinnen die Babys wieder und gab ihnen dann endlich die Puppe zum Spielen. Die 6-monatigen Babys spielten sofort interessiert mit der Puppe, wiederholten aber nicht die am Tag zuvor gezeigten Handlungen. Die 12-monatigen Babys erinnerten sich an die erste Handlung und zogen der Puppe den Handschuh aus. Die 18- und 24-monatigen Babys dagegen zogen den Handschuh nicht nur aus und schüttelten ihn, sondern einige von ihnen zogen der Puppe den Handschuh sogar wieder an. Mit zunehmendem Alter sind unsere Babys also immer besser in der Lage, eine komplexe Handlung genau zu beobachten, das Wissen darüber zu speichern und später die Handlung nachzumachen.

Unser Alltag ist vorwiegend durch weitaus komplexere Handlungen als die Handschuhaufgabe bestimmt. Deshalb ist es wichtig, dass unsere Babys von klein an lernen, Handlungen, die aus mehreren einzelnen Schritten bestehen, möglichst lange zu behalten. Aufbauend auf dieser Fertigkeit und dem angeeigneten Wissen kann sich dann auch ihr eigenes Verhalten weiter entwickeln.

Nach eins kommt zwei: Handlungen behalten ist gar nicht so schwer
Wenn Handlungen in einen bekannten und sinnvollen Rahmen eingebettet sind, dann fällt es uns viel leichter, die einzelnen Handlungsschritte zu behalten und später zu wiederholen. Dabei kommt der zeitlichen Abfolge und dem ursächlichen Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu. Beispielsweise setzt sich die komplexe Handlung „Spaghetti kochen“ aus den einzelnen Schritten – Wasser im Topf kochen, Spaghetti in den Topf geben, gekochte Spaghetti in ein Sieb abschütten – zusammen. Diese einzelnen Schritte ergeben nur in einer bestimmten Reihenfolge Sinn. Sie stehen in einem ursächlichen Zusammenhang und werden in einer bestimmten zeitlichen Abfolge ausgeführt. Ein zweijähriges Kleinkind würde sich sehr darüber wundern, wenn die Mama zuerst das Wasser im Topf kocht, dann das Wasser in ein Sieb schüttet und anschließend die Spaghetti in den Topf gibt.

Bereits 16- und 20-monatige Babys sind in der Lage – genau wie Erwachsene und ältere Kinder –, die zeitliche Struktur einer Handlung zu erkennen, wie Patricia Bauer und Jean Mandler (1989) in einer Studie zeigen konnten. Dazu wurden den Babys verschiedene Handlungen vorgemacht. Zwei der Handlungen waren vertraute Alltagshandlungen wie einen Teddybär waschen oder den Tisch abwischen. Alle weiteren Handlungen waren neu und hatten entweder eine vorgegebene zeitliche Struktur – die einzelnen Schritte führten also nur in einer bestimmten Abfolge zum Ziel – oder aber die Abfolge der einzelnen Schritte war gar nicht von Bedeutung. Direkt nachdem die Babys die Handlungsabfolgen beobachtet hatten, durften sie selbst mit den Gegenständen spielen. Die untersuchten Babys hatten keine Probleme damit, die vertrauten Handlungen sofort korrekt zu wiederholen. Interessanterweise waren sie genauso gut im Wiederholen der neuen Handlungsabfolgen, allerdings nur, wenn diese eine sinnvolle zeitliche Abfolge hatten. Der ursächliche Zusammenhang und die dadurch gegebene zeitliche Abfolge von Handlungsschritten helfen also unseren Babys komplexere Handlungen zu verstehen, zu behalten und erfolgreich nachzumachen.

Handlungen und ihre Auswirkungen verknüpfen
In der Regel führen wir Handlungen aus, um etwas zu erreichen. Dabei sind die eigentlichen Ziele unserer Handlungen oftmals gar nicht direkt erkennbar. Unsere Erfahrungen helfen uns dabei, Ziele – sichtbar oder nicht sichtbar – zu erkennen und unser Handeln darauf abzustimmen. Allerdings fehlt es unseren Babys noch an dieser Erfahrung.

Obwohl es gar nicht so einfach ist, eine eindeutige Verbindung zwischen bestimmten Handlungen und ihren Auswirkungen in der Umgebung herzustellen, hilft genau diese Verbindung den Babys, das Ziel einer Handlung zu erkennen und beeinflusst sogar ihre eigene Handlung. Bereits 12- und 18-monatige Babys verändern ihr eigens Verhalten in Abhängigkeit von zuvor beobachteten Handlungseffekt-Kombinationen (Hauf, Elsner, & Aschersleben, 2004). Nachdem die Babys eine Handlungsabfolge mit einem Teddybär und einem kleinen Stoffzylinder beobachtet hatten (Zylinder vom Bär wegnehmen, Zylinder schütteln und Zylinder wieder dem Bär zurückgeben), durften die Babys selbst mit den Gegenständen spielen. Die Babys, die gesehen hatten, dass das Schütteln einen spannenden Effekt erzeugte, schüttelten zuerst den Zylinder und gaben ihn erst viel später zum Bär zurück. Bei der Gruppe, die allerdings beobachtet hatte, dass das Zurückgeben das Geräusch erzeugte, nahmen sich die Babys den Zylinder und gaben ihn direkt dem Bär wieder zurück, ohne den Zylinder zu schütteln. Die Babys hatten erkannt, dass das eigentliche Ziel dieser Handlung darin bestand, das tolle Geräusch zu erzeugen. Damit übereinstimmend führten sie den entsprechenden Handlungsschritt zuerst aus. Unsere Babys erkennen also bereits Effekte, die durch eine Handlung ausgelöst werden, als die eigentlichen Ziele einer Handlung. Diese Fähigkeit hilft ihnen, komplexe Handlungen zu behalten und nachzumachen.

Neue Dinge lernen – einfach durch Nachmachen
Die zunehmende Fähigkeit, durch Imitation zu lernen, ermöglicht den Babys nicht nur, Handlungen besser zu verstehen und Handlungsziele zu erkennen. Es eröffnet ihnen auch die Möglichkeit, neue Dinge zu lernen, die sie selbst gar nicht oder nur schwer und mit viel Mühe hätten herausfinden können. Durch genaues Beobachten und zielstrebiges Nachmachen lernen unsere Babys nicht nur etwas über Handlungen, sondern auch etwas über Gegenstände und ihre Eigenschaften. Im Alter von nur 14 Monaten können sie schon neue Handlungen mit neuen Gegenständen über einen Zeitraum von einer Woche hinweg behalten und selbst ausführen (Meltzoff, 1988). Aber sie können noch mehr. Sie versuchen nämlich, das Ziel einer beobachteten Handlung zu verstehen und genau darauf bauen sie ihre eigenen Handlungen dann auf. Zu Beginn des zweiten Lebensjahres achten Babys mehr und mehr auf die Details einer Handlung und auf den Menschen, der ihnen die Handlungen zeigt. Sie versuchen zu verstehen, welche Gründe – also welche Ziele – das Verhalten bestimmen und berücksichtigen dieses Verständnis für ihre eigenen Handlungen. Damit zeigen unsere Babys eine enorme Leistung. Sie machen nämlich nicht einfach alles blind nach, was man ihnen zeigt. Ganz im Gegenteil, sie richten ihre Aufmerksamkeit auf das Ziel einer beobachteten Handlung.

Ich weiß genau was Du eigentlich tun wolltest
Um der Frage nachzugehen, wie genau Babys auf die handelnde Person achten, und ob sie das Ziel einer Handlung auch dann erkennen, wenn die Handlung gar nicht vollständig ausgeführt wurde, zeigte Andy Meltzoff (1995) einer Gruppe von 18-monatigen Babys eine unvollständige Handlung. Bei dem Versuch, eine Spielzeughantel auseinander zu ziehen und in zwei Teile zu zerlegen, rutschte seine Hand immer wieder ab, so dass es ihm nicht gelang, sein Ziel zu erreichen. Eine andere Gruppe von gleichaltrigen Babys dagegen beobachtete die vollständige Handlung. Die kleine Hantel wurde in zwei Teile zerlegt. Danach bekamen alle Babys die Spielzeughantel zum Spielen und alle zogen die Hantel auseinander und zerlegten sie dadurch in zwei Teile. Unabhängig davon, ob die Babys die vollständige oder die unvollständige Handlung beobachtet hatten, imitierten die Babys also das eigentliche Handlungsziel. Offensichtlich können Babys die Ziele beobachteter Handlungen auch dann erschließen, wenn die Handlung gar nicht erfolgreich ausgeführt wurde.

Darüber hinaus verstehen Babys auch, ob etwas mit Absicht oder aus Versehen passiert (Carpenter, Akthar, & Tomasello, 1998). 14- und 18-monatigen Babys wurden verschiedene mehrstufige Handlungen vorgemacht, die zu einem interessanten Effekt führten. Die Handlungen wurden dabei entweder von einem positiven Kommentar wie beispielsweise „klasse“ oder von einem negativen Kommentar, z. B. „oje“ begleitet. Beide Handlungen lösten dabei aber immer den gleichen tollen Effekt aus, z. B. tauchte ein kleines Spielzeug auf. Interessanterweise imitierten die Babys die Handlung, die durch einen positiven Kommentar als absichtlich gekennzeichnet war, nicht aber die Handlung mit dem negativen Kommentar. Babys unterscheiden demnach zwischen einer absichtlichen Handlung und einer Handlung, die nur versehentlich zu einem Ergebnis führt.

Soll ich oder soll ich nicht?
Schon im ersten Lebensjahr tauschen sich Babys intensiv mit ihren Bezugspersonen aus und beziehen dann auch zunehmend Gegenstände wie Spielzeuge in diese Interaktion mit ein. Durch das gemeinsame Spielen, durch die Beobachtung anderer Menschen im Umgang mit neuen Gegenständen, lernen sie nicht nur ihre Handlungskompetenz auszubauen. Sie lernen auch etwas über Eigenschaften von Gegenständen, ob diese gut oder schlecht für sie sind und ob sie bestimmte Handlungen ausführen sollen oder besser nicht. Dabei kommt den emotionalen Informationen zu einem Gegenstand oder einer Handlung eine besondere Bedeutung zu. In Situationen, die für unsere Babys unbekannt und daher nicht eindeutig sind, suchen sie den Kontakt zu ihren Bezugspersonen. Mama schaut zu und lächelt – das ist ein ganz klares Aufforderungssignal. Das bedeutet „das ist schon okay.“ Ein entsetzter Blick, möglicherweise noch gepaart mit einem Aufschrei, signalisiert ganz klar Gefahr. Das lassen wir dann besser mal sein. Auch wenn Babys im Alltag leider nicht immer so schnell auf diese emotionalen Signale reagieren wie wir das als Eltern gerne hätten, so sind sie doch schon früh in der Lage, diese Informationen aufzunehmen und zu verstehen.

Bereits 12 Monate alte Babys verwenden emotionale Hinweise wie Gesichtausdruck und Stimmlage einer vertrauten Person, um ihr eigenes Verhalten zu regulieren. Donna Mumme und Anne Fernald (2003) untersuchten darüber hinausgehend, wie sich Babys in weniger eindeutigen Situation mit nicht vertrauten Personen verhalten. Dazu zeigten sie den Babys ein Video von einer fremden Frau, die sich entweder neutral, positiv oder negativ gegenüber zwei unterschiedlichen Gegenständen äußerte. Der emotionale Hinweis wurde immer durch den Gesichtsausdruck und die Stimmlage gegeben. Nachdem die Babys das Video zu Ende angesehen hatten, durften sie mit den beiden Gegenständen spielen. Die Babys vermieden in der anschließenden Spielphase eindeutig das Spielzeug, welches mit negativem Gefühlsausdruck betrachtet worden war. Die Babys waren offensichtlich in der Lage, diese Hinweisreize aufzunehmen und sie haben ihr eigenes Verhalten entsprechend angepasst. Das ist bemerkenswert. Denn die Babys sahen die fremde Person nur im Video, im Fernseher sozusagen. Betty Repacholi und Andy Meltzoff (2007) konnte darüber hinaus zeigen, dass 18 Monate alte Babys Emotionen, die durch Gesichtsausdrücke und Stimmlage vermittelt werden, auch dann aufnehmen, wenn die anwesenden Personen sich gar nicht direkt den Babys zuwenden. Auch in diesem Fall dauerte es deutlich länger, ehe die Babys einen spannenden Gegenstand anfassten, wenn sie zuvor eine ärgerliche Reaktion beobachtet hatten. Sie spielten auch kürzer damit und wiederholten weniger der gezeigten Handlungsschritte im Vergleich zu den Babys, die eine neutrale Äußerung erlebt hatten.

Offensichtlich verstehen unsere Babys emotionale Hinweise auch im Zusammenhang mit Handlungen. Sie begreifen, dass negative Emotionen Gefahr ausdrücken können und reagieren entsprechend zurückhaltend im Umgang mit neuen Gegenständen. Sie verstehen aber auch, dass eine bestimmte Handlung bei einigen Menschen Ärger hervorrufen kann, während dies bei anderen Personen nicht der Fall ist. Bedeutsam ist, dass die Babys ihr eigenes Verhalten entsprechend anpassen. Und sie tun das bereits mit 18 Monaten. Sie bemerken genau die Gegebenheiten in einer Situation, auch dann wenn sie gar nicht im Mittelpunkt des Interesses stehen.

Warte, ich helfe Dir
Mit dem fortschreitenden Ausbau ihres Handlungsverständnisses nehmen auch die sozialen Fähigkeiten der Babys zu. Aus dem Wissen um die Absichten und Ziele einer anderen Person entwickelt sich nämlich nach und nach auch das Hilfeverhalten. Denn nur, wenn das Baby verstanden hat, was z. B. die Mutter will, kann es ihr auch helfen, dieses Ziel zu erreichen.

Felix Warneken und Michael Tomasello (2007) untersuchten das Hilfeverhalten von Babys, die keinerlei Belohnung für ihr Verhalten bekamen. Die 14 Monate alten Babys beobachteten Felix bei seiner „Arbeit“. So hängte er beispielsweise Handtücher auf einer Wäscheleine auf. Dabei fiel ihm dann versehentlich die Wäscheklammer auf den Boden. Durch entsprechendes Greifen mit ausgestrecktem Arm verdeutlichte Felix, dass er die Klammer gerne gehabt hätte, aber leider nicht erreichen konnte. Die Babys griffen spontan in das Geschehen ein. Sie liefen zur Klammer, hoben sie auf und reichten sie Felix. Babys in einer solchen Situation zu beobachten ist eine wahre Freude. Es ist erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit sie ihr Wissen um das Ziel einer anderen Person mit dem Verständnis der Möglichkeiten dieser Person verbinden und helfen, ohne selbst einen Vorteil daraus zu ziehen.

Nur wenige Monate später helfen die Babys auch in wesentlich komplexeren Situationen. Sie sind damit einen großen Schritt in der Entwicklung ihrer sozialen Fähigkeiten vorangekommen. Unter normalen Umständen helfen wir Menschen anderen, ihre Ziele zu erreichen. Wir tun dies unabhängig davon, ob wir daraus einen Vorteil ziehen und helfen sogar Fremden. Auch wenn man manchmal das Gefühl haben könnte, dass in unserer heutigen Gesellschaft das Hilfeverhalten bereits ausgestorben ist, so handelt es sich doch um eine ureigene menschliche Verhaltensweise, die einen wesentlichen Bestandteil unseres sozialen Lebens ausmacht. Eine wichtige Voraussetzung für das Hilfeverhalten ist die Bereitschaft zu helfen an sich. Darüber hinaus müssen wir aber auch in der Lage sein, das angestrebte Ziel einer Handlung zu verstehen, um helfen zu können. In der Mitte des zweiten Lebensjahres haben unsere Babys offensichtlich alle wesentlichen Kenntnisse erworben, die für den aktiven Austausch mit ihren Bezugspersonen und mit anderen Menschen notwendig sind.

Lass uns gemeinsam spielen
Babys spielen für ihr Leben gern. Spielen bedeutet dabei nicht einfach nur Spaß haben. Es beinhaltet die Möglichkeit, im Austausch mit anderen ständig Neues hinzuzulernen. Dabei trainieren unsere Babys für das spätere Leben. Sie lernen etwas über ihre eigene Handlungsfähigkeit und über die Ziele von Handlungen anderer. All diese Fertigkeiten fließen in neue Handlungen und neue Spiele ein und fördern im Gegenzug die Entwicklung weiterer Fähigkeiten.
Die Fähigkeit, Handlungsziele und Handlungsrollen zu erkennen, eröffnet unseren Babys vollkommen neue Spielmöglichkeiten. Schon kurz nach ihrer Geburt sind sie in der Lage, sich mit anderen Personen auszutauschen. Sie tun das oftmals in einer sich abwechselnden Reihenfolge. Allerdings bezieht sich dieser frühe Austausch vorwiegend auf Blicke und Gesten. Erst später rücken Gegenstände und Spielsachen in den Mittelpunkt des Austauschs mit anderen. Die Form des sozialen Austauschs ist dabei meist immer noch durch eine abwechselnde Struktur bestimmt, wie beispielsweise beim abwechselnden Aufbauen und Umwerfen eines Turms oder beim Ball hin- und herrollen. Diese ersten so genannten kooperativen Spiele bauen aber darauf auf, dass der mitspielende Erwachsene sich an genaue Verhaltensweisen hält. Wenn Kleinigkeiten im Ablauf des Spiels verändert werden, reagieren unsere Babys irritiert und manchmal auch sehr ärgerlich.

Gemeinsames Spielen zeichnet sich dadurch aus, dass jeder seinen Teil dazu beiträgt, damit ein gemeinsames Ziel erreicht werden kann. Eine aktuelle Studie (Warneken & Tomasello, 2007) untersuchte, ob Kleinkinder ein gemeinsames Ziel im Spiel verstehen können. Das gemeinsame Spiel bestand darin, dass die Kinder einen Würfel oben in eine große Röhre warfen und Felix den Würfel unten wieder auffing. Felix spielte eine Weile mit den Babys, stellte dann aber plötzlich sein kooperatives Verhalten ein. Er fing den Würfel nicht mehr auf. Die Reaktionen der Babys auf Felix’ Verweigerung waren eindeutig. Zunächst reagierten sie mit Erstaunen und warteten, ob Felix es sich noch anders überlegen und wieder mitspielen würde. Als dies jedoch nicht passierte, forderten sie Felix mehr oder weniger heftig zum Mitmachen auf. Sie zeigten ihm beispielsweise, wo er sich hinsetzen muss und wie er den Becher zu halten hat. Die älteren Kinder begleiteten diese Aufforderungen auch noch mit Äußerungen wie „da“ oder „hej“.

Am Ende des zweiten Lebensjahres verstehen unsere Babys also nicht nur, dass Handlungen Ziele haben, sondern auch, dass mehrere Personen zusammen ein gemeinsames Ziel haben können. Sie erkennen die Rollen, die jedem einzelnen in gemeinsamen Spielen oder bei gemeinsamen Aufgaben zugedacht sind. Von dem Moment an, in dem Babys Handlungsziele und Handlungsrollen verstehen, beginnen sie tatsächlich gemeinsam zu spielen.

Lernen in unserer Welt zu handeln
Handlungen spielen in unserem Alltag eine sehr wichtige Rolle, weil wir durch unser Handeln aktiv auf unsere Umwelt einwirken. Dabei fokussieren wir keineswegs nur auf die Gegenstände, die wir für unsere Handlungen brauchen. Vielmehr konzentrieren wir uns auf die Menschen, mit denen uns unser Handeln verbindet. Wir handeln eingebettet in eine soziale Umgebung. Unsere Handlungen beziehen sich auf andere Menschen, beeinflussen diese in ihren Empfindungen, Meinungen und Handlungen. Aber auch wir werden durch Handlungen anderer beeinflusst. Für diesen wechselseitigen Austausch ist es wichtig, dass wir in der Lage sind, Handlungen, Ziele und Wünsche anderer Personen zu verstehen. Genauso wichtig ist es aber auch, eigene Handlungen auszuführen, eigene Wünsche auszudrücken und eigene Ziele zu erreichen. Handlungen anderer Menschen zu verstehen, zu wissen, was diese Handlungen mit uns selbst zu tun haben, ist ein wesentlicher Bestandteil unseres täglichen sozialen Lebens. Darum ist es auch für unsere Babys so wichtig, möglichst früh Handlungen anderer verstehen und selbst kompetent handeln zu können.

Der Artikel ist die stark gekürzte und veränderte Fassung eines Kapitels aus dem Buch: Hauf, P. & Klein, A. (2008). Schauen, Staunen, Handeln – das Weltwissen der Babys. Freiburg: Herder Verlag. Die Literaturangaben finden sich in diesem Buch.

Prof. Dr. Petra Hauf ist Entwicklungspsychologin und Hochschullehrerin an der St. Francis Xavier University in Antigonish, Kanada

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