fK 3/03 Bereska

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Komm, wir finden einen Schatz

Janosch im carrousel Theater oder wie aus einem Kinderbuch ein Theaterstück wird

von Odette Bereska

Von der Sogwirkung prominenter Titel der Kinderliteratur zu profitieren, ist zweifellos auch für Theater attraktiv. Auf diese Weise Eltern und Erzieher zu verführen, sich mit ihren Kindern einem weniger populären Medium – dem Theater – zu nähern, erscheint so lange legitim, als sich das angebotene Theatererlebnis für die jungen Zuschauer nicht als Etikettenschwindel erweist. Auf solch einen Titel hin kommen Kinder ins Theater, die auf wohlvertraute Freunde und Geschichten warten. Werden sie dann mit grob amputierten Handlungen und Figuren, die den einprägsamen Illustrationen fern sind, konfrontiert, ist Enttäuschung nahezu vorprogrammiert. Und wenn die erwachsenen Begleiter in gutgemeinter Vorbereitung des Theaterbesuchs noch einmal die Bücher vorlesen, die jungen Zuschauer gar mit den Büchern auf dem Schoß der Vorstellung folgen, sind die Theatermacher einem Erwartungsdruck ausgesetzt, der inspiriertes künstlerisches Arbeiten zumindest erschwert.

Der Arbeit an Janoschs „Komm, wir finden einen Schatz“ gingen Überlegungen dieser Art voran. Doch dem Magnetismus von Tiger und Bär konnten wir uns nicht mehr entziehen, einen solch wunderbar naiven wie tiefgründigen Stoff, der den Kindern weit mehr erzählt als von Freundschaft und den elementaren Freunden im Leben, nicht mehr loslassen.

In zahlreichen Begegnungen mit Schülern erster Klassen, durch den Theaterpädagogen initiiert, erwies sich ganz schnell der assoziative Reichtum, der in dieser einfachen Geschichte liegt: So ein Schatz, was kann der sein außer Gold und Geld?! Die vielfach beklemmenden Antworten der Kinder bestärkten uns in dem Gefühl, nicht nur irgendeinen bekannten Stoff gegriffen, sondern einen wirklich außergewöhnlichen gefunden zu haben. Ein Stoff, der schon im Titel eine entwaffnende Zuversicht manifestiert: Der Schatz, ganz egal welcher, muss zwar zunächst gesucht werden, wird dann aber auf jeden Fall gefunden.

Es reifte die Hoffnung, mit der Verlebendigung von Tiger und Bär die „Suche nach dem größten Glück der Erde“ im theatralen Gruppenerlebnis zu einer aktiven Erfahrung für die Kinder machen zu können. Die vertraute Gewissheit der letzten Seite, die mit dem Mehrfachlesen eines Buches verbunden ist, kann in der Einmaligkeit des Theaterbesuchs einem aufgeregten Mitfiebern mit den guten Freunden weichen.

Tiger und Bär kennt wohl fast jedes Kind, nicht nur aus Büchern, auch als Plüschtiere, von Postkarten, von Zahnputzbechern, Stullendosen u.v.m. Die Gestaltung von Puppen, den Originalen abbildgetreu nachempfunden, war daher die Grundentscheidung für die Arbeit. Die jungen Zuschauer sollten die ihnen vertrauten Freunde wiedertreffen – ihnen würden sie vermutlich auch auf Umwege folgen, die sie auf den Seiten ihrer Bücher nicht wiederfinden.

Die Reisebekanntschaften von Tiger und Bär, wie Huhn, Esel und Löwe funktionieren weniger stark als abrufbare Bilder. So wagten wir es, dafür einen Schauspieler (Christian Keiser) in Mehrfachrollen zu besetzen. Durch ihn ließ sich darüber hinaus eine Erzählerfigur etablieren, die die Kinder – oftmals zum ersten Mal im Theater – direkt anspricht und auf die Reise mitnimmt.

Doch wenn Tiger und Bär auf der Bühne lebendig werden sollen, muss man sie kennen: ihre Stimmen, ihre Gedanken, Emotionen, ihr Verhalten in all diesen abenteuerlichen Situationen. Was bei Janosch auf einer Seite umfassend mit „Da hörten sie auf zu graben und gingen durch den großen, wilden Wald.“ beschrieben ist, ist auf dem Theater noch ohne Wirkung und bedarf einer Übertragung in das andere Medium.

Der Suche von Tiger und Bär nach einem Schatz ging unsere Suche nach Bär und Tiger voran. Offenbar haben wir sie gefunden. Nach einer Vorstellung (inzwischen sind 50 gespielt) kam ein Junge hinter die Bühne und sagte dem Bären, der von der Puppenspielerin Susanne Olbrich gehalten wurde: „Du, der Bankbeamte hat euch mächtig über’s Ohr gehauen. Damit ihr’s wisst, für’s nächste Mal!“

Odette Bereska ist Chefdramaturgin am Berliner carrousel Theater

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