fK 1/03 Meier

Zeitschrift frühe Kindheit – Archiv

Warum Frauen und Männer
(keine) Kinder haben wollen

von Uta Meier

Erst seit wenigen Jahrzehnten können Frauen und Männer aus allen Bevölkerungsschichten eine bewusste Entscheidung für oder gegen Kinder treffen. Noch für meine Großmutter waren Kinder die „unausbleibliche“ Folge der ehelichen Verbindung zu meinem Großvater. Gewissermaßen „naturhaft“ gegeben und als schicksalhafte Fügung hingenommen, brachte sie insgesamt acht Kinder zur Welt.

Erst mit dem Zugang zu sicheren Methoden der Empfängnisverhütung und Familienplanung seit den 1960er Jahren existiert überhaupt die Möglichkeit eines bewussten „Nein“ zu einem Kind, aber auch die Voraussetzung für ein verantwortungsvolles „Ja“: Fachleute sprechen von der Geburtsstunde des säkularisierten und intrinsisch motivierten Kinderwunsches. Seither sind Kinder – jedenfalls in den hochentwickelten westlichen Ländern – prinzipiell planbar. Somit besteht eine relative Entscheidungsfreiheit über die Zahl und den Zeitpunkt einer Geburt im Lebensverlauf.

Die soziale Norm einer bewussten Entscheidung für oder gegen Kinder eröffnet einerseits Handlungsoptionen, ruft aber andererseits auch Konflikte hervor, so dass diese Entscheidung(en) biographisch aufgeschoben oder aber umgangen werden können. Wir leben – darüber sind sich die Fachleute einig – in einer Gesellschaft, die durch die Entkoppelung von Fruchtbarkeit und Sexualität charakterisiert ist.

Lebensziele und Wertepräferenzen

Sich für oder gegen Kinder zu entscheiden, hängt von vielen Einflussgrößen ab. Materielle und soziale Faktoren fallen ebenso ins Gewicht wie kulturelle und psychologische Parameter. In ihrem multifaktoriellen Zusammenspiel bestimmen sie letztlich das faktische Fertilitätsverhalten von Frauen und Männern.

So unterschiedlich die Erklärungsversuche für den – in letzter Zeit auch von der Politik wahrgenommenen – dramatischen Geburtenrückgang in Deutschland auch ausfallen, Einigkeit besteht immerhin in der Einschätzung, dass heutzutage „psychologische“ Nutzenserwartungen an Kinder im Vordergrund stehen und ökonomisch-finanzielle Gründe abgelöst haben.

Zugleich ist durchaus bemerkenswert, dass Kinder in der Bundesrepublik Deutschland einen beträchtlichen Kostenfaktor für die Eltern darstellen, so dass das Bundesverfassungsgericht mit diversen Urteilen seit den 1990er Jahren den Gesetzgeber wiederholt anmahnen musste, mit jedem Reformschritt des Sozialstaates für eine Einkommens- und Steuergerechtigkeit zwischen denen, die Kinder erziehen, und denen, die andere Lebensentwürfe realisieren, herzustellen.

Vor diesem Hintergrund ist es also durchaus plausibel, dass der Wunsch nach Kindern mit anderen Lebenszielen konkurriert, mit dem Ziel, am Wohlstand der Gesellschaft teilzuhaben, sich eine berufliche Karriere aufzubauen und sich in verschiedenen anderen Lebensbereichen selbst zu verwirklichen.

Kinder sollen das Leben bereichern, sie sollen emotionale Bedürfnisse nach Freude, Spontaneität und nach Nähe befriedigen. Diese Motive beziehen sich auf die Partnerschaft und die eigene Person, d.h. Kinder sollen Wünsche und Lebensideale von angehenden Eltern einlösen. Solche Erwartungen lassen sich durchaus mit wenigen Kindern realisieren.

Hinzu kommt allerdings, dass die Norm einer verantwortlichen Elternschaft heutzutage einen hohen Einsatz an Zeit, an psychischer Energie, aber auch an monetären Investitionen erfordert. Daraus resultieren Zweifel und Ängste, ob man sich diesen Anforderungen überhaupt gewachsen sieht.

Trotz dieser hohen Erwartungshaltungen an die Elternschaft und ungeachtet einer Reihe von konkurrierenden Lebenszielen steht das Leben mit Kindern in der Wertehierarchie der Bevölkerung ganz oben. Als Ideal gilt nach wie vor die Zwei-Kind-Familie. Demgegenüber gilt Kinderlosigkeit im Wertekanon der Deutschen als nicht erstrebenswert.

Unter den allgemeinen Wertorientierungen der deutschen Bevölkerung rangiert ein Familienleben mit Kindern noch vor der Berufsarbeit, was angesichts der Erwerbsfixierung unserer Gesellschaft – wie ich finde – durchaus bemerkenswert ist. Allerdings formulieren weder Frauen noch Männer beide Lebensziele als konkurrierend. Vielmehr wird eine Verbindung von Familien- und Berufsleben angestrebt, was bei Männern schon immer akzeptiert wurde, bei den Frauen aber nach wie vor auf ideologische und handfeste materielle Barrieren trifft.

Die harten Fakten

In einem erklärungsbedürftigen Gegensatz zu diesen Wertepräferenzen steht nämlich das Faktum einer weiter rückläufigen Geburtenquote in der Bundesrepublik Deutschland. Von dem 1965 geborenen Frauenjahrgang werden 32,4% zeitlebens kinderlos bleiben. Auch in Ostdeutschland nimmt dieser Anteil sprunghaft zu: Er liegt in dieser Alterskohorte bei 26,4%; bei den zehn Jahre früher geborenen Frauen waren es gerade 6%. Dauerhafte Kinderlosigkeit korreliert im Übrigen signifikant mit dem erreichten Bildungs- und Qualifikationsniveau von Frauen: Je höher ihr Bildungsstand, desto häufiger bleiben sie zeitlebens kinderlos.

Unter den Frauen, die über einen akademischen Abschluss verfügen, beträgt dieser Anteil immerhin 41%, Tendenz steigend: Für das Jahr 2010 wird mit einem entsprechenden Anteil von circa 50% gerechnet. Setzt sich dieser Trend fort, so wird unsere Bevölkerung in 100 Jahren auf 30 Millionen sinken.

Eine genaue und differenzierte Analyse der Geburtenentwicklung führt uns vor Augen, dass wir in Deutschland auf das Phänomen eines gespaltenen Fertilitätsverhaltens treffen. Diejenigen, die sich Kind(er) – jedenfalls unter finanziellen Gesichtspunkten – nicht leisten können, realisieren ihre Kinderwünsche in vollem Umfang und handeln sich damit oftmals ein Armutsrisiko und benachteiligte Lebenslagen mit ihren Kindern ein. Demgegenüber verzichten gerade Frauen mit hohen Bildungsinvestitionen zunehmend auf Kinder und rücken folglich von ihren ursprünglichen Lebensentwürfen zwischen Beruf und Familie ab. Dies geschieht durch das biographische Hinausschieben des „Kinderprojekts“ ins vierte Lebensjahrzehnt, also in das Alter zwischen 30 und 40 Jahren. Bestenfalls bekommen sie noch ein Kind, jede vierte Akademikerin bleibt dann aber zeitlebens kinderlos. Betrachtet man demgegenüber den deutlich schrumpfenden Anteil derer, die eine Familie gründen, so fällt auf, dass die durchschnittliche Kinderzahl in den Familien seit Jahren konstant geblieben ist. Sie liegt im Westen bei 2,0 Kindern pro Familie; im Osten bei 1,9 Kindern pro Familie. Das heißt, insgesamt verzichtet einerseits ein wachsender Teil der jüngeren Generation generell auf Kinder. Wer jedoch eine Familie gründet, entscheidet sich in kaum verändertem Maße für (mindestens) zwei Kinder. Diese Tendenz charakterisiert den gegenwärtigen Strukturwandel von Familie in Deutschland. Nicht dagegen – wie so oft behauptet wird – der Trend zur Einkindfamilie.

Als zwei wesentliche Faktoren für die rückläufigen Familiengründungsprozesse sind die hier zu Lande völlig unzureichenden Betreuungsmöglichkeiten – zahlenmäßig und von ihrem qualitativen Zuschnitt her – anzusehen und die immer noch vorhandene steuerliche Begünstigung der Hausfrauenehe. Zum Vergleich: In den Niederlanden, wo über viele Jahrzehnte ein ähnliches Familienmodell favorisiert wurde wie in Deutschland, kam es seit Mitte der 1980er Jahre zu einem familienpolitischen Kurswechsel. Ein kräftiger Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen zeigt in Verbindung mit der Abschaffung steuerlicher Vorteile des Ehefrauen- und Hausfrauenstatus für die ab 1972 geborenen Frauen durch die „1990 maatregel“, dass niederländische Mütter heute deutlich häufiger berufstätig sind und eine öffentliche Diskussion über die Qualitätsstandards von Kindereinrichtungen in Gang gesetzt wurde. Zugleich entstehen damit attraktive personenbezogene Dienstleistungsberufe, was sich positiv auf die Arbeitsmarktentwicklung auswirkt.

In Deutschland dagegen klafft immer noch eine erhebliche Versorgungslücke, für die unter dreijährigen Kinder ebenso wie für die Schulkinder, und an der Privilegierung der Hausfrauenehe wird steuerpolitisch weiter festgehalten.

Aus diesen Gründen wird gerade bei berufsorientierten Frauen mit einem hohen Bildungsgrad die Realisierung von durchaus vorhandenen Kinderwünschen entweder ganz aufgegeben oder aber biographisch auf einen Zeitpunkt nach Beendigung der Ausbildung bzw. des Berufseinstiegs und damit in ein höheres Lebensalter verlagert. Dabei wird aus einer temporär gewollten Kinderlosigkeit (Aufschub der Geburt) aufgrund zwischenzeitlicher Veränderungen häufig eine endgültige, ungewollte Kinderlosigkeit.

Warum sich Männer und Frauen gegen Kinder entscheiden

Untersuchungen, in denen Gründe für Kinderlosigkeit systematisch analysiert wurden, sind rar. Es macht ganz offenkundig auch viel mehr Sinn, nach den Gründen dafür zu suchen, warum Männer und Frauen, die eigentlich Kinder haben wollen, am Ende keine bekommen.

In einer kleinen, nicht repräsentativen Umfrage unter Student(inn)en und wissenschaftlichen Mitarbeiter(inne)n an den Universitäten von Gießen und Marburg bin ich jedoch auch auf interessante Unterschiede zwischen den Gründen von Männern und Frauen gestoßen, die dezidiert angeben, keine Kinder haben zu wollen.

Sofern sich Männer überhaupt bereit finden, über dieses Thema offen zu äußern, lassen sich im wesentlichen drei Gründe nennen:

(1) Scheu vor der finanziellen Verantwortung: „Falls die Ehe schief geht, „blutet“ man finanziell zumindest solange, bis das Kind die Ausbildung abgeschlossen hat. Darauf habe ich keinen Bock,“ so brachte es ein Student der Mathematik auf den Punkt.

(2) „Kinder bringen zu viel Unruhe, das macht mich ehrlich gesagt nervös, weil ich auch oft zu Hause arbeite und mich auch noch irgendwann von meinem stressigen Job erholen muss“, meinte ein wissenschaftlicher Assistent aus einem naturwissenschaftlichen Fachbereich.

(3) „Ehrlich gesagt, ich liebe meine Bequemlichkeit. Allein die Vorstellung, dass meine Partnerin von mir verlangen könnte, die Hälfte des Alltagskrams zu übernehmen, darauf will ich mich nicht einlassen, das bringt nur Stress“, betonte ein angehender Absolvent des Studiengangs Diplom-Sozialwissenschaften.

Gründe, die Frauen benennen, warum sie keine Kinder haben wollen, unterscheiden sich grundlegend von denen der Männer.

(1) „Kinder? Dann wär ich in meinem Beruf weg vom Fenster, zweite, dritte Garnitur. Dafür hab ich einfach zu viel in meine Ausbildung gesteckt“, hob eine wissenschaftliche Mitarbeiterin, die kurz vor Fertigstellung ihrer Habilitation im Fachbereich Psychologie steht, hervor.

(2) „Da hab ich wohl nicht den richtigen Partner dafür. Das seh ich schon, dass dann alles an mir hängen bliebe. Schade, aber so ist die Welt …“, betonte eine Studentin im achten Semester der Theaterwissenschaften.

(3) „Wie sollte ich das mit meinem Berufsalltag verbinden, wir sind ja nicht in Schweden hier, wo es flexible Kinderbetreuungseinrichtungen mit hohen Standards schon für die ganz Kleinen gibt“, gab eine junge Assistenzärztin im Klinikum der Universität zu bedenken.

Kontrastiert man diese Statements mit den harten Fakten, so ist den hier befragten Männern und Frauen keineswegs ein mangelndes Realitätsbewusstsein vorzuwerfen.

Der Übergang zur Elternschaft
In der Tat bedeuten Kinder ein Sich-Einlassen auf Verantwortung. Der Familiensoziologe Bernhard Nauck hat zurecht darauf hingewiesen, dass Elternschaft im Grunde die einzige unaufkündbare Verpflichtung in der modernen Multioptionsgesellschaft darstellt, die lebenslang verbindlich besteht. Auch wenn eine eheliche Beziehungen scheitert, kann der Kindesvater seine finanzielle Verantwortung für sein Kind nicht aufkündigen. Unterhaltspflichtig ist er aber auch gegenüber der Kindesmutter – wenn sich keine adäquate Beschäftigungsmöglichkeit für sie und/oder kein Betreuungsplatz für das Kind findet. Im ungünstigsten Fall bleibt ihm lediglich der Selbstbehaltbetrag vom eigenen Einkommen.

Kinder bringen in der Tat nicht nur Freude und Vitalität in den Alltag der Erwachsenen, sondern auch Turbulenzen und Unwägbarkeiten, die weder zu der in den Medien favorisierten Single-Ästethik und Erlebnisorientierung noch zu den 50-Wochenstunden-Jobs angehender oder etablierter Entscheidungsträger in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik passen. Es handelt sich nach wie vor um Ein-und-einhalb-Personen-Berufe, welche die unbezahlte Hintergrundarbeit von (Ehe-)Frauen und Müttern voraussetzen. Männer ahnen und erfahren zunehmend, dass Frauen dieses Arrangement immer öfter in Frage stellen, nicht zuletzt wegen ihrer eigenen beruflichen Ambitionen und ihrer Vorstellung von einer gleichberechtigten Partnerschaft.

Hinzu kommt eine Entwicklung, die in Zusammenhang mit der wachsenden Bildungsbeteiligung von Frauen steht: Während von den heute 70-jährigen Frauen mehr als die Hälfte in einer Ehe leben oder gelebt haben, in der ihr Ehemann einen höheren Bildungsabschluss als sie selbst besaß, vollzieht sich der Übergang zur Elternschaft oder die Entscheidung gegen Kinder heute in wachsendem Maße in Paarkonstellationen mit einem gleichen Bildungs- und Qualifikationsabschluss: In sieben von zehn Ehen treffen wir auf Ehehomogenität und auch in nichtehelichen Lebensgemeinschaften zeigt sich diese Tendenz.

Frauen haben den Zugang zu Bildungseinrichtungen folglich engagiert genutzt und vielfach mit ihren männlichen Altersgenossen gleichgezogen. Sie sind nicht zuletzt aus diesem Grund immer seltener bereit, sich auf herkömmliche Arbeitsteilungsmuster einzulassen. Diesem Modernisierungsschub auf Seiten der Frauen steht allerdings ein evidenter Modernisierungsrückstand der männlichen Hälfte der Gesellschaft gegenüber: Wie Zeitbudgeterhebungen und Analysen über die innerfamilialen Arbeitsteilungsverhältnisse seit Jahren belegen, werden circa 80% der Haus- und Fürsorgearbeit in Partnerschaften mit Kindern von den Müttern geleistet.

Väter beteiligen sich in Partnerschaften mit minderjährigen Kindern lediglich sechs Minuten pro Tag länger an der anfallenden Haus- und Betreuungsarbeit als Männer in Partnerschaften ohne Kinder. Das ist insgesamt auch in der jungen Vätergeneration der Fall. Unabhängig davon, ob erwerbstätige Mütter viel verdienen oder wenig, ob sie einen hohen oder niedrigen Bildungsgrad haben, ob sie in Leipzig oder in Frankfurt leben, die Hauptlast der Familienarbeit liegt auf ihren Schultern, und zwar auch dann, wenn sie 40 Stunden pro Woche oder länger erwerbstätig sind.

Fthenakis konstatiert in seiner Studie „Übergang zur Elternschaft“, dass es nach der Geburt eines Kindes und in den Jahren danach nicht nur zu einem Verlust an Kommunikation, Zärtlichkeit und Sexualität zwischen den Eltern kommt, sondern auch zu einer wachsenden Unzufriedenheit der Frauen wegen des „Rückzugs“ des Vaters aus diesem Tätigkeitsfeld. Je stärker die Belastung der Mutter durch Haus- und Fürsorgearbeit ist, desto größer ihre Unzufriedenheit. Hinzu kommt ihre wachsende finanzielle Abhängigkeit vom Kindesvater.

Und wie reagieren die Väter? Männer mit traditionellen Einstellungen reagieren in dem Maße mit Depressivität, wie ihnen eine Beteiligung an der Haus- und Fürsorgearbeit abverlangt wird. „Passen die neuen Aufgaben, die der Vater übernehmen muss, zu dessen persönlichen Einstellungen und Lebensplänen, wird er glücklich werden in der veränderten Situation“ (Fthenakis, Kalicki, Peitz).

Nur: In der Regel passen diese neuen Aufgaben eben nicht in den persönlichen Werte- und Handlungskanon von Männern. Auch die Kategorie von Männern, denen Ulrich Beck schon vor Jahren eine sprichwörtliche „verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre“ bescheinigt hat, sind für junge Mütter wenig unterstützend. Sie reagieren zwar nicht mit Depressionen, wohl aber mit diversen Arbeitsvermeidungsstrategien und einem Rückzug aus der Familie.

Außerdem wurde in den Studien von Fthenakis und anderen ein hohes Maß an destruktivem Streitverhalten nach der Geburt eines (weiteren) Kindes auch bei gut verdienenden jungen Eltern mit hoher Bildung konstatiert. Es wird von Prozessen der Konflikteskalation berichtet, von einer Art Wettstreit um den Sieg, der Gemeinsamkeiten übersieht und zu Feindseligkeit, Einschüchterung und verbalen Entgleisungen führt. „Viele Beziehungen sind fünf Jahre nach der Geburt des ersten Kindes komplett zerrüttet. Zu diesem Zeitpunkt gibt es die höchste Scheidungsrate“, so das alarmierende Fazit (Fthenakis). Aber auch unrealistische Erwartungen an die Partnerschaft und romantisierende Vorstellungen von Elternschaft laufen Gefahr, nach der Geburt eines Kindes prompt und drastisch enttäuscht zu werden.

Strukturelle Barrieren

Im Angesicht dieser Befunde ist es im Grunde ernüchternd, dass sich Diskussionen um die Zukunft der Bildungs- und Wissensgesellschaft nach wie vor fast ausschließlich um Inhalt und Ausrichtung von marktrelevanten und verwertbaren beruflichen Fachkompetenzen drehen. Demgegenüber mangelt es an der Einsicht, dass Bildung und Erziehung auch Vorbereitung für ein Leben jenseits abhängiger Erwerbsarbeit zu sein hat. Damit bleiben die Voraussetzungen jenes Teils der Humanvermögensbildung unbeachtet, der in familialen Austauschprozessen und durch die gelebte Solidarität zwischen den Generationen scheinbar „selbstverständlich“ erbracht wird und gewissermaßen erst die Basis für die Überlebensfähigkeit und Kultur einer Gesellschaft, aber auch für sämtliche ihrer Teilbereiche von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik darstellt.

Es gehört zu einem der am besten gehüteten Geheimnisse, dass Wirtschaft und Gesellschaft ohne diese Vorleistungen nicht überlebensfähig wären, die eben nach wie vor wesentlich von Frauen und Müttern erbracht werden.

An dieser Schweigespirale in Sachen Haus- und Fürsorgearbeit ist die Institution „Schule“ mit ihrer einseitigen Fixierung von Bildungsinhalten auf den Erwerbsbereich maßgeblich beteiligt. Mädchen wird vermittelt, dass ein ausgeprägter persönlicher Bildungswille und gute Schulabschlüsse Chancengleichheit mit den Männern im weiteren Lebensverlauf garantiere. Diese „Bildungsillusion“ zerplatzt oft schon an der „doing-gender-Struktur“ des Berufsbildungssystems, beim Berufseinstieg oder spätestens dann, wenn Kinder zu versorgen sind. Es wird nicht problematisiert, dass die Institution Familie bis heute für Männer eine Lebensform darstellt, in der sie von Müttern, Großmüttern, Ehefrauen und Geliebten versorgt, betreut und verpflegt werden, wohingegen sie für Frauen primär ein Aufgaben- und Verantwortungsbereich mit hohem Verpflichtungsgrad ist. Insbesondere die Übernahme der Fürsorge- und Erziehungsarbeit für Kinder geht bei Frauen mit evidenten Nachteilen für den aktuellen Lebensstandard, für ihre beruflichen Wiedereinstiegs- und Karrierechancen und ihre Altersicherheit einher. Hier hat der stille, aber durchaus wirkungsmächtige „Gebärstreik“ meines Erachtens seine entscheidenden strukturellen Ursachen.

Christiane Nüsslein-Volhard, Nobelpreisträgerin für Medizin, gelangt in ihrem beruflichen Wirkungsfeld zu der Einschätzung, dass Wissenschaftlerinnen – trotz aller Frauenförderprogramme – im Labor nicht gern gesehen sind. Gerade männliche Vorgesetzte und Kollegen glauben fest an die Unvereinbarkeit von Mutterschaft und Wissenschaftskarriere und scheinen die Widersprüchlichkeit ihres Denkens und Handelns gar nicht zu bemerken. Argumente wie „Die Frau gehört zu ihren Kindern“ wechseln ab mit Statements wie „Die Wissenschaftlerin gehört ins Labor“. Dann wieder wird den Wissenschaftlerinnen ihre Kinderlosigkeit zum Vorwurf gemacht, weil sie nicht dafür sorgen, dass ihre Intelligenz weiterverbreitet wird: „Es sind dieselben Leute, die einmal so und einmal genau anders herum argumentieren“ (Nüsslein-Volhard).

Auch in anderen Berufsfeldern sind solche ambivalenten Denk- und Verhaltensweisen männlicher Entscheidungsträger auf der Tagesordnung.

Aber auch jene jungen Männer, die mit ihren Partnerinnen Beruf und Familienarbeit gleichberechtigt teilen wollen, scheitern sehr schnell an den strukturellen Zwängen des heutigen Erwerbssystems. Es verlangt ihnen eine Rundumverfügbarkeit und lückenlose Tätigkeitsnachweise ab. Nicht zuletzt deshalb fällt der neue Typ Mann und Vater statistisch nicht ins Gewicht.

Ausblick

Angesichts der vielfältigen Reformnotwendigkeiten in Richtung eines zukunftsfähigen Geschlechter- und Generationenvertrages zum Wohle von Kindern, Müttern und Vätern wird sich die Deutsche Liga für das Kind auch in den nächsten 25 Jahren in gesellschafts- und familienpolitische Diskurse hörbar einschalten (müssen). Und sie tut gut daran, in ihrem interdisziplinären und kooperativen Arbeitsstil mit einem hohen Maß an Selbstreflexion fortzufahren, eigene Ansätze kritisch zu hinterfragen und innovative Projekte auf den Weg zu bringen. Zielpunkt dieser Anstrengungen muss sein, an die Stelle der strukturellen Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Leben mit Kindern eine strukturelle Ermutigung zum Kind zu setzen.

Mut und langer Atem für tiefgreifende Reformen in diesem Sinne können auch aus den nachfolgenden Ergebnissen der gerontologischen Forschung bezogen werden: Eine strikte, bis ins Rentenalter beibehaltene geschlechtsspezifische Arbeitsteilung wirkt sich – repräsentativen Ergebnissen des Zentrums für Altersforschung an der Universität Siegen zufolge – bei Männern wie Frauen lebensverkürzend aus. Mit anderen Worten: Eine übersteigerte „acency“ (d.h., die eigene Person in dem Mittelpunkt stellen), die bei erwachsenen Männern im Berufsleben praktiziert wird und eine übersteigerte einseitige „communion“ bei den Frauen, die in der Regel in der Familie gelebt wird, erhöht bei beiden Geschlechtern das Sterberisiko. Eine wirksame, lebensverlängernde Strategie muss demnach auf die Gegenläufigkeit geschlechtsbezogener Rollenbilder gerichtet sein. Der Schlüssel für ein langes Leben liegt in der Aneignung von androgyner Kompetenz. Immer geht es darum, beide Bereiche auszutarieren. Die Hinwendung zur Familie wirkt sich bei den Männern lebensverlängernd aus, wohingegen Frauen nachweislich von einem stärkeren Bezug zum Beruf und zur Öffentlichkeit profitieren

Die Literaturhinweise sind über die Geschäftsstelle erhältlich.

Prof. Dr. Uta Meier ist Hochschullehrerin für Wirtschaftslehre des Privathaushalts und Familienwissenschaft an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Mitglied im Vorstand der Deutschen Liga für das Kind

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